Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)
jetzt gehen.«
»Ich kann ein Bild von dir malen!«
»Ich will keines deiner Bilder. Geh mit irgendwelchen Kindern spielen!«
»Irgendwelche Kinder schlafen jetzt.«
»Dann schlaf doch auch.«
»Ich kann nicht schlafen.«
»Und warum nicht?«
»Weil, mein Paps singt immer ein Lied, damit ich schlafe. Es hat ganz komische Wörter. Kennst du das Lied?«
»Nein.«
»Ich war heute in den Rohren«, sagte Fred. »Ich habe meinen Paps gesucht. Mama sagt, mein Paps reist jetzt ewig durch die Rohre und ist mal in Amerika und mal in Polen und manchmal auch hier.« Er scharrte mit den Füßen, verschränkte die Arme, streckte sie wieder aus, zog die Nase hoch. »Mama sagt, wenn mein Paps reist, dann kannst du auch ein bisschen mein Paps sein.«
»Fred.«
»Bist du jetzt ein bisschen mein Paps?«
»Hör zu.«
»Du musst jetzt ein bisschen mein Paps sein!«
»Pass auf, Fred, pass gut auf: Ich werde nie dein Paps sein. Nicht heute, nicht morgen. Nie. Ich bin nämlich ein Vater. Und ich habe schon einen Sohn, einen gesunden Sohn, mit dem ich gern Zeit verbringe. Er heißt Ludwig. Du bist nicht mein Sohn und deshalb werde ich nie dein Vater sein. Ich werde nicht mit dir in die stinkende Kanalisation gehen und ich werde nicht für dich singen und ich werde ganz gewiss nicht dein Paps sein. Und darüber bin ich froh. Weil ich für einen wie dich nie etwas sein will. Für mich bist du nichts. Du bist nichts.«
Die Wahrheit
Mein schlechtes Gewissen schickte mich nach wenigen Minuten auf die Suche nach Fred, der aufgesprungen und weggerannt war. Ich sagte mir, ich könnte wenigstens versuchen, ein kleines bisschen sein Paps zu sein. Schließlich würde das Anni gefallen. Und vielleicht wäre ich dann auch ein kleines bisschen Freds Paps für sie.
Ich fand Fred an der Bushaltestelle; er weinte. Bevor ich mich bemerkbar machen konnte, setzte sich Markus neben ihn, und da ich nie sonderlich viel Sympathie für den Schweinezüchter empfunden hatte, versteckte ich mich hinter dem Maibaum, wo sie mich nicht sehen konnten.
»Der nächste Bus kommt erst in drei Tagen«, sagte Markus zu Fred.
»Ich warte nicht auf den Bus«, sagte Fred.
»Worauf dann?«
»Auf meinen Paps.«
»Den Polacken?« Markus reichte Fred ein Stofftaschentuch. »Das könnte dauern.«
Fred schnäuzte sich. »Ich bin nichts.«
»Wie meinst du das?«
»Julius sagt, ich bin nichts.«
»Ach, der Julius Habom ist selbst nicht viel.« Mit einer beiläufigen Geste, die verriet, wie oft er das tat, klappte er einen Handspiegel auf und überprüfte, ob das Toupet auf seinem Kopf perfekt saß. Seit seinem unglücklichen Zusammentreffen mit Anni vor ein paar Jahren verbarg er damit eine kahle Stelle.
Markus hielt den Spiegel vor Fred. »Wen siehst du?«
»Frederick Arkadiusz Driajes.«
»Und kann der nichts sein?«
»Ja?«
»Die richtige Antwort lautet: Du kannst nie nichts sein. Sonst wärst du ja gar nicht da!«
»Das stimmt.«
Markus deutete auf Freds Spiegelbild. »Weißt du, was ich sehe?«
»Frederick Arkadiusz Driajes?«
»Um die Wahrheit zu sagen: nicht nur das. Ich sehe einen Jungen, der einmal sehr groß werden könnte, ich sehe Leistungsvermögen.«
»Du sagst viele Wörter, die keiner kennt.«
»Ich lese viele Bücher.«
»So viele wie der Julius Habom?«
»Noch viel mehr.« Markus tippte gegen Freds Spiegelbild. »Welche Augenfarbe hast du?«
»Grün!«
»Und wofür steht Grün? Es ist die Farbe der Hoffnung und der Natur – Grün steht für Wachstum. Grün wächst!«
»Ich wachse auch viel!«
»Eben! Die meisten Menschen wachsen nie. Sie finden sich mit ihrem Leben ab, und wenn sie sterben, ist es, als hätte es sie nie gegeben. Aber wir beide, wir sind anders. Wir wachsen, wir verändern uns. Früher, da war ich nur der Sohn vom Schweinezüchter. Aber schau mal jetzt!« Markus öffnete seine Jacke und zeigte Fred eine Pistole. »Mein bester Freund. Eine Walther P38.« Er entnahm sie dem Halfter. »Willst du?«
Fred zögerte.
Markus schnappte sich Freds Hand und legte sie um den Griff der Pistole.
»Die ist schwer!«, sagte Fred.
»Das muss sie sein. Ihr Gewicht erinnert ihren Besitzer an die Stärke und die Verantwortung, die mit dem Tragen einer solchen Waffe einhergehen.« Markus hielt den Spiegel noch einmal vor Fred. »Wen siehst du?«
»Frederick Arkadiusz Driajes.«
»Und was noch?«
»Grün.«
»Und was noch?«
»Eine Pistole.«
»Ganz schön viel, oder?«
Fred sah zu Boden und flüsterte: »Ganz schön
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