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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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davon nicht beeinflussen. Überleg einmal! Warum behauptet deine Mutter, du wärst erst sechs Jahre alt, obwohl jeder weiß, dass du demnächst neun wirst? Sie will dich klein machen. Weil sie spürt, dass sie dir unterlegen ist. Du bist kein Klöble mehr, so wie ich kein Schweinezüchter mehr bin. Früher verwendete ich Abfallvokabeln wie Ge oder Fei, ich hörte mich an, wie man sich vorstellt, dass ein Schweinezüchter sich anhört, und ich drangsalierte andere Kinder, um mich stark zu fühlen. Aber ich bin gewachsen! Bezeichnenderweise fing alles mit einer Wurzel auf dem Wolfshügel an. Der Pfarrer Meier brachte mir bei, was jemand in sie eingeritzt hatte: Ich liebe dich. Das waren die ersten drei Worte, die ich lernte. Ich liebe dich. Die danach standen in seiner Bibel. Und die
danach in Büchern, die mir, als Gegenleistung für ein paar saftige Schweinekoteletts, ein Bestatter von außerhalb mitbrachte. Ich las und las und las, bis die Buchstaben auf den Seiten verblassten und meine Finger schwarz wurden. Und auch dann hörte ich noch nicht auf. Mit jedem weiteren Buch schärfte ich mein Bewusstsein. Bücher wurden meine besten Freunde. In ihnen reiste ich durch die Welt und lernte Orte kennen, die wir nur mit unseren Gedanken erreichen können. Und durch sie sah ich endlich klar, so klar wie nur ein Buchstabe auf Papier stehen kann. Ich verstand, ich konnte, musste, durfte nicht länger der sein, der ich gewesen war. Es ist doch meistens alles sehr schnell vorbei. Eine Liebe. Unser Leben. Einfach alles! Es bleibt kaum Zeit. Wer das nicht begreift, wird sich in Hoffnungen und Erinnerungen verlieren und sterben, ohne je gelebt zu haben. Die Bücher haben mir die Augen geöffnet, ich lernte zu verstehen, was
Ich liebe dich
wirklich bedeutete: mich zu akzeptieren. Denn das ist der erste Schritt, um wachsen zu können. Man muss erkennen, wer man ist. Wenn man sich erst einmal selbst begreift, kann man sich mögen, und wer sich mag, dem können andere nichts mehr anhaben, und wenn die einem nichts mehr anhaben können, ist man in der Lage, sich frei zu entfalten. Ich war mein Liebster Besitz. An diesem Punkt dauerte es nicht lange, bis meine Reife, mein Ehrgeiz und Wille auch anderen auffielen. So, wie du mir aufgefallen bist. Du bist ein überdurchschnittlich begabter Junge, Fred. Damit kommt nicht jeder zurecht. Denk mal an deinen Vater, deinen Paps! Wo ist er? Wieso reist er durch die Welt und kümmert sich nicht um dich? Wieso hat er dich nicht mitgenommen? Wieso schreibt er dir nicht? Ganz einfach: weil deine Größe ihn einschüchtert! Noch viel schlimmer ist aber dein Onkel. Wenn andere
etwas besitzen, das er nicht haben kann, versucht er, es zu zerstören. Das gilt für dein Talent   – woher nimmt er das Recht, dich zu beschimpfen? Das gilt für das Ansehen dieses Dorfes   – warum heiratet er die Mina Reindl nicht? Das gilt für die treue Liebe deiner Mutter zu deinem Vater   – wie kann er es wagen, monatelang allein mit ihr in einem Haus zu leben? So bedauernswert ich das finde, Julius Habom ist kein guter Mensch. Während wir wachsen, schrumpft er. Und leider, leider ist er da nicht der Einzige. Du wirst es bemerkt haben: Der Fortbestand des deutschen Volkskörpers ist in Gefahr. Wie ein bösartiges Geschwür breitet sich lebensunwertes Leben aus. Die Bedrohung können wir nicht länger ignorieren. Wir müssen ihr ins Auge sehen. Jetzt. Sogar hier, in unserer Heimat, existieren Seelen, traurige, bemitleidenswerte Seelen, die für immer verloren sind. Ich weiß, dass einem wie dir das nicht entgangen ist. Du siehst, wie ich, die Wahrheit in den Dingen. Und in Zeiten wie diesen braucht man Persönlichkeiten wie uns, die an der Wahrheit festhalten, unbeirrbar, und die nicht vom Weg abkommen. Wir, mein Guter, müssen alles dafür tun, dass im Mahlstrom der Geschichte am Ende nicht auch die Wahrheit zugrunde geht. Wir müssen! Denn ohne sie sind wir nichts.«

Das Ende der Liebsten Besitze
     
    In der Nacht vom 22.   Januar 1940 klopfte Fred nach Einbruch der Nacht gegen Minas Schlafzimmerfenster, um ihr mitzuteilen, dass ich sie jetzt, noch in dieser Stunde, heiraten wolle.
    Fünf Minuten später eilte sie im Brautkleid Fred auf der Hauptstraße hinterher. Um Ludwig musste sich Mina nicht sorgen, sie nahm an, er sei bei mir. Und damit lag sie auch nicht falsch. Nur warteten wir nicht auf sie, sondern schliefen, durch ein Seil miteinander verbunden, am anderen Ende des Dorfes.
    Mina hatte Mühe, mit

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