Meister der Stimmen: Roman (German Edition)
Marion die Burgstufen hinunterhastete und wie angestochen über den Stallhof rannte. Sie hielt nicht an, bis sie Gin erreicht hatte, wo sie lieber gegen sein Vorderbein rannte, als sich die Zeit zum Bremsen zu nehmen.
»Hier«, keuchte sie und streckte die Hand aus. Miranda griff nach unten und zog ein gefaltetes Stück Papier aus ihren Fingern. Ihr Gesicht leuchtete auf, als sie es öffnete. »Wie bist du da rangekommen?«
Marion grinste breit. »Alle wichtigen Dokumente werden zur Aufbewahrung in die Bibliothek geschickt. Manchmal hat es Vorteile, Bibliothekarin zu sein.«
»Kriegst du deswegen keine Schwierigkeiten?« Miranda runzelte die Stirn. »Du weißt, dass ich es wahrscheinlich nicht schaffen werde, dir das zurückzubringen, bevor sie merken, dass es verschwunden ist.«
Marion schüttelte heftig den Kopf. »Solange der König zurückkommt, glaube ich nicht, dass es ihnen etwas ausmachen würde, wenn ich die gesamte Schatzkammer leer räume.«
Miranda lächelte. »Danke, das werde ich dir nicht vergessen.«
Marion winkte und stieß sich vom Bein des Geisterhundes ab.
Miranda winkte ebenfalls und gab Gin das Startzeichen. Der Geisterhund sprang vorwärts und setzte unter den staunenden Blicken der Jungen über das Tor.
»Wie überzeugend soll ich sein?«, fragte Gin, als sie das letzte Stadttor übersprangen.
Miranda starrte grimmig auf die hügelige Landschaft, die an ihnen vorbeiraste. »Was lässt dich glauben, dass wir nicht wirklich verschwinden?«
Sie konnte Gins leises Lachen durch sein Fell fühlen. »Gewöhnlich bist du kein so würdevoller Verlierer. Und soweit ich sehen kann, steht die Burg noch nicht in Flammen.«
»Neunmalkluge Promenadenmischung.« Miranda knuffte ihn gutmütig. »Du hast recht, wir verlassen das Königreich nicht. Ich würde eher meine Ringe aufgeben, als diesen Trottel damit durchkommen zu lassen.«
»Welchen Trottel?«, keuchte Gin.
Miranda verschaffte ihm einen kurzen Überblick über ihr Treffen mit Renaud. Als sie fertig war, knurrte Gin nachdenklich. »Politik und Gold sind menschliche Laster, also gibt es da vielleicht Nuancen, die ich nicht verstehe. Aber es fällt mir schwer, zu glauben, dass ein verbannter Prinz wie Renaud sich wirklich so große Sorgen um die Rückerstattung des kleinen Bruders macht, der ihn um den Thron gebracht hat.«
»Genau mein Gedanke.« Miranda lehnte sich vor, um ihm die Ohren zu kraulen.
»Also, was werden wir tun?«
»Der Teil ist einfach. Wir finden Eli als Erste.« Sie zeigte nach links, wo eine dichte Reihe struppiger Nadelbäume zwei Felder voneinander trennte. »In dieses Wäldchen.«
Gin gab noch einmal Gas, und ein paar Sekunden später waren sie hinter mehreren Kiefern verborgen. Miranda sprang ab, suchte die Gegend kurz nach eventuellen Beobachtern ab und drückte dann ihren Daumen gegen den dicken, glatten Saphir an ihrem rechten Zeigefinger. »Allinu, wach auf, ich brauche dich.«
Einen Moment später gurgelte eine dünne, klare Wasserfontäne aus dem Ring und bildete in Mirandas hohlen Händen einen kleinen See. Als das Wasser ihren Daumen erreichte, schob Miranda die Lösegeldforderung hinein. »Finde die Quelle dieser Tinte.«
»Ja, Herrin«, flüsterte das Wasser und fing an zu schäumen.
Miranda hielt ihre Finger so fest wie möglich aneinandergepresst, obwohl sie wusste, dass es eigentlich unnötig war. Allinu war ein Bergnebel. Sie konnte sich selbst in einem Sieb zusammenhalten, falls es nötig sein sollte. Trotzdem fühlte Miranda sich besser dabei, besonders, wenn das Wasser in alle Richtungen spritzte wie jetzt gerade.
Ein paar Sekunden später trieb die Nachricht vollkommen trocken wieder an die Oberfläche.
»Es tut mir leid, Herrin«, sagte das Wasser. »Die Tinte ist schon zu lange trocken. Sie erinnert sich an nichts.«
»Das hatte ich mir schon gedacht«, sagte Miranda, verschob das Wasser in eine Hand und zog den Brief heraus. Sie sah ihn noch einmal an, bevor sie ihn in eine Tasche stopfte. So viel dazu.
»Das Papier dagegen war ein wenig hilfreicher«, fügte das Wasser etwas verspätet hinzu.
Miranda riss den Kopf hoch. »Das was?«
»Das Papier«, wiederholte Allinu. »Ich habe ein paar Risse an einer Seite bemerkt, also habe ich es gefragt, was passiert ist. Sobald ihm klarwurde, dass es nicht zu Brei verarbeitet werden sollte, hat es mir von dem Vogel erzählt. Anscheinend hat Euer Dieb die Nachricht per Falken überbringen lassen. In den Krallen des Falken, um genau zu sein, was
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