Meister der Stimmen: Roman (German Edition)
Ein schmales Ding mit einem Opal, fast wie der Freundschaftsring eines Kindes, blieb auf ihrem linken kleinen Finger stecken. Herausfordernd sah sie die anderen an, während sie die prall gefüllte Ledertasche zurück in ihren Rucksack schob.
»Okay«, sagte Eli und rieb sich die Hände, als Miranda sich wieder auf ihren Platz am Feuer setzte. »Jetzt, wo wir Ernst machen … hier ist der Plan.«
Kapitel 16
D er Thronsaal der Burg Allaze war fast so dunkel und unfreundlich wie seine Zellen. Die Sonne war schon vor Stunden untergegangen, aber die Lampen waren immer noch nicht entzündet. Niemand hatte die Diener eingelassen, die dafür zuständig waren. Am Fuße des Podestes, unterhalb des leeren Throns, hatten sich die Meister von Mellinor in einem losen Kreis um einen Mann mit Halbglatze versammelt, dessen staubige Rüstung zu seinem tränenüberströmten Gesicht passte.
»Freunde«, sagte Meister Oban mit brechender Stimme, »egal, wie oft ihr mich berichten lasst, die Geschichte wird sich nicht ändern. Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, wie der Blitz der Spiritistin unseren König traf. Ich habe gesehen, wie er fiel!«
»Ich dachte, der Blitz wäre auf den Dieb gerichtet gewesen?«, rief ein Beamter von hinten und löste damit eine neue Welle von Diskussionen aus.
»Unmöglich!«
»Meister Oban, seid Ihr sicher, dass Ihr …«
»Die wahre Frage hier ist …«
»… zu lange gewartet …«
»… habe immer gesagt, dass es eine Falle ist …«
»… größte Tragödie unserer Zeit, das werden sie sagen, und das in unserer Amtszeit …«
»Genug«, sagte der Gerichtsmeister. »Lasst Meister Oban in Frieden.«
Das Geschnatter der Meister verstummte sofort, und der dunkle Raum wurde ruhig, als der alte Gerichtsmeister Oban signalisierte beiseitezutreten. Der Sicherheitsmeister machte sofort Platz, und der Gerichtsmeister baute sich in der Mitte des Kreises auf. »Wir können es nicht länger leugnen«, sagte der Gerichtsmeister. »Wir müssen akzeptieren, dass die Spiritistin uns benutzt hat. Vielleicht stimmt Lord Renauds Theorie, und sie war von Anfang an mit dem Dieb im Bunde. Oder auch nicht. Wie auch immer, die Schuld liegt bei uns.«
»Es war schon schrecklich praktisch, dass sie so kurz nach dem Verschwinden des Königs aufgetaucht ist«, sagte ein junger, untergeordneter Beamter und drängte sich durch die Menge nach vorne. »Ich habe immer geglaubt, dass sie etwas im Schilde führt. Warum sollte ein Magier nach Mellinor kommen, wenn nicht, um Ärger zu machen?« Er starrte die alten Männer böse an. »Der einzige Magier, dem wir vertrauen können, ist Lord Renaud. Selbst als Verbannter hat er versucht, seinen Bruder zu retten!«
»Aber wo ist die Leiche?«, schrie ein anderer Beamter. »Wo ist unser König?«
Das löste erneut aufgeregtes Geschrei aus, und es dauerte mehrere Minuten, bis der Gerichtsmeister die Kontrolle über die Versammlung wiedererlangt hatte. »Ruhe«, knurrte er und starrte die jüngeren Mitglieder des Rates so lange an, bis sie aufhörten, sich pantomimisch Prügel anzudrohen. Er warf einen Blick zu Oban, der nickte, dann sah er zu Meister Litell, dem dürren Schatzmeister, der den Blick abwandte. Befriedigt sprach er das aus, was alle erwartet hatten: »In den vierhundert Jahren seit der Staatsgründung war Mellinors Thronfolge nicht einmal in Gefahr. Nachdem ich mir eure Meinungen angehört habe, so geteilt sie auch sein mögen, glaube ich, dass wir uns alle auf eine Sache einigen können: Wenn diese Tradition sich ändern soll, dann jedenfalls nicht zu unserer Amtszeit.«
Die Meister fingen wieder an zu murmeln, aber der Gerichtsmeister brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Die Diskussion ist beendet. Schickt ihn herein.«
Ein jüngerer Beamter löste sich aus dem Kreis und rannte zu der diskreten Tür in der Wand. Seine Knöchel hatten kaum die Klinke berührt, als Renaud sie auch schon aufriss. Er trug bereits schwarze Trauerkleidung, und sein bleiches Gesicht schien fast körperlos durch den dunklen Saal zu schweben. Die Meister traten nach und nach beiseite, bis nur noch der Gerichtsmeister zwischen ihm und dem leeren Thron stand.
Der Gerichtsmeister beobachtete Renaud wachsam. Für einen Moment schien es, als wäre er kurz davor, den Prinzen wieder wegzuschicken, aber schließlich senkte der Meister den Kopf.
»Prinz Renaud«, sagte er, »schweren Herzens rufen wir Euch. Aber in Zeiten der Unsicherheit darf das Königreich keinen Tag
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