Meister der Stimmen: Roman (German Edition)
erstaunt, wie Eli die hölzerne Schlaufe und die zwei verbleibenden, geraden Stücke auf den Ledersack legte.
»Wann immer ihr so weit seid«, sagte er.
Kaum hatten die Worte seinen Mund verlassen, da setzte sich der Sack bereits auf. Mit einem schwungvollen Wackeln löste das Leder seine Naht und fing an, sich um das Holz zu wickeln, so dass um die zwei längeren Stöcke eine Röhre entstand. Anschließend zog sich das Leder fest, und die Fäden vernähten sich an der Seite der langen ledernen Röhre. Als es fertig war, hielt Eli einen langen, aber sonst vollkommen normal aussehenden Speerköcher in der Hand, der genau die richtige Größe und Länge hatte, um das Herz des Krieges zu verstecken.
Eli dankte dem Köcher mehrmals, bevor er ihn an Josef übergab, der mit einem knappen Nicken sein Schwert in der Lederscheide versenkte.
»Wie hast du …« Miranda deutete mit einem zitternden Finger auf das Konstrukt, das vor knapp einer Minute noch drei Stöcke und ein Ledersack gewesen war.
»Ganz einfach«, sagte Eli. »Ich habe den Sack schon eine Weile. Er hat immer nach Höherem gestrebt, als nur ein Gepäckstück zu sein, also hat er mir gern geholfen. Die Stöcke waren jung, und sie ergreifen gern jede Chance, ein wenig herumzukommen, bevor sie austrocknen.« Er ging zu Josef und begutachtete sein Werk. »Es ist zu dumm, dass wir keine Speere haben, um den Effekt wirklich auszureizen.«
Er sagte noch mehr, aber Miranda war zu betäubt, um auf seine Worte zu achten. Sie war immer noch damit beschäftigt, die lange Liste der Unmöglichkeiten zu verarbeiten, bei denen sie ihn gerade beobachtet hatte. Er hatte getan, als wäre es nichts, als bewirke er so etwas jeden Tag. Mit Bäumen zu sprechen war eine Sache, aber nur durch Worte etwas Neues zu erschaffen war unglaublich. Nicht einmal die großen Formmagier konnten Geister gestalten, ohne dabei ihre Seele zumindest ein wenig zu öffnen. Fast schien es, als hätten Holz und Leder beschlossen, ihm einen Gefallen zu tun, nur weil er darum gebeten hatte. Wenn sie etwas in dieser Art versuchen würde, ohne dabei einen ihrer Diener als Mittelsmann einzusetzen, hätte das Holz sie einfach ignoriert. Doch Elis Bitte war es mit Freuden gefolgt, als wäre er derjenige, der beeindruckt werden musste, nicht andersherum. Sie beobachtete Eli, während er redete. Seine Hände bewegten sich in eleganten Gesten, und nicht zum ersten Mal fragte sich Miranda, was er wirklich war.
»Geht es dir gut?«
Miranda zuckte zusammen. Eli musterte sie fragend. »Du hast mich nur angestarrt und gar nicht zugehört.«
»Es ist nichts«, murmelte Miranda und versuchte, nicht zu erröten, weil man sie erwischt hatte. »Lasst uns einfach aufbrechen.«
Eli zuckte mit den Achseln und folgte Josef, der sie in Richtung Burg führte. Nico schloss sich ihnen am Rande der Lichtung an. Sie huschte wie ein Gespenst durch die Wälder. Miranda zuckte zusammen, als sie das Mädchen entdeckte – zum Teil, weil es so plötzlich aufgetaucht war, zum Teil aber auch, weil sie gar nicht bemerkt hatte, dass Nico verschwunden war. Dann fiel ihr auf, dass Nico keine Verkleidung trug.
»Wartet, braucht sie nicht …«
»Nein«, sagte Nico, ohne sich umzudrehen oder zurückzuschauen.
Gin tapste zu ihr, die Augen auf das Mädchen gerichtet. »Pass auf dich auf«, knurrte er, »und vergiss nie, was sie ist. Dämonen kann man nicht trauen.«
»Ich werde daran denken«, sagte Miranda und wuschelte ihm noch einmal durchs Fell, bevor sie Eli und den anderen in den Wald folgte.
Obwohl sie nur knapp einen Kilometer von der Stadt entfernt waren, brauchten sie über eine Stunde, um die Mauer zu erreichen. Das lag hauptsächlich daran, dass Josef sie in einem verrückten Zickzackkurs durch das Unterholz führte. Sie kreuzten mehr als einmal ihre eigene Spur, und der Schwertkämpfer bestand darauf, im Unterholz zu bleiben und sich von den Wildwechseln fernzuhalten. So musste Miranda fast bei jedem Schritt einen Ast beiseiteschieben oder ihren Rock aus irgendwelchen Disteln befreien. Um alles noch schlimmer zu machen, hielt Eli ungefähr alle fünf Minuten irgendwo an und murmelte diesem Baum oder jenem Felsen etwas zu. Jedes Mal lauschte sie sorgfältig, aber es war selten mehr als Smalltalk der gewöhnlichsten Sorte – ein Austausch von Höflichkeiten, vielleicht ein Kommentar über das Wetter. Wie eine Landfrau, die sich mit ihren Nachbarinnen unterhält. Und während er sprach, tat er ihnen kleine Gefallen. Er
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