Meister der Stimmen: Roman (German Edition)
Schwert verlieren.«
Miranda starrte sie nur an, während sie versuchte, eine Antwort zu finden. Aber Nico war bereits verschwunden und suchte sich zwischen den stöhnenden Soldaten hindurch einen Weg zur Treppe. Eli musterte Miranda warnend und folgte dem Mädchen. Miranda warf einen letzten langen Blick auf das Portal zur Schatzkammer. Dann drehte sie sich mit einem tiefen Seufzen um und folgte den anderen durch den zerstörten Saal, an den Splittern der Dienstbotentür vorbei, die Josef zertreten hatte, und dann die breite Haupttreppe hinauf, die in die oberen Bereiche des Palastes führte.
Sie verliefen sich zweimal, bevor sie die Tür fanden, die sich auf den Wandelgang öffnete. Der lange Flur hatte sich vollkommen verändert, seit Miranda und Marion sich vor scheinbar langer Zeit ihren Weg durch die Menge gebahnt hatten, um Renaud zu sehen. Statt der Flaggen von Mellinor hingen schwarze Trauerbanner an der gewölbten Decke, und die Wandleuchten brannten nur schwach hinter ihren schwarzen Abdeckungen. Durch die hohen Fenster war der Mond zu sehen, aber die Glasscheiben und hohe, schnell ziehende Wolken verdeckten einen Großteil seines Lichtes, so dass der Gang so finster erschien wie ein Friedhofshain. Eli, Miranda und Nico hielten sich eng an der Wand und liefen von einer dicken Steinsäule zur nächsten, aber bald schon wurde offensichtlich, dass diese Vorsichtsmaßnahme überflüssig war. Der Wandelgang war vollkommen leer.
»Wo sind alle?«, fragte Miranda und trat ins dämmrige Licht.
»Wahrscheinlich bekämpfen sie immer noch das Feuer«, sagte Eli mit einem fragenden Blick zu Nico. »Ich hoffe wirklich, dass du die Situation nicht unterschätzt hast. Er wird uns nicht allzu dankbar sein, wenn wir ihn wieder auf den Thron setzen und seine Burg abgebrannt ist.«
»Das wird sie nicht.« Nico glitt durch den düsteren Flur. »Dieser Ofen war nicht klug genug, um so etwas Spektakuläres hinzukriegen, wie eine Burg abzubrennen.«
»Welch beruhigende Worte«, sagte Miranda und schüttelte den Kopf. »Kommt. Der Thronsaal liegt in dieser Richtung.«
Halb liefen, halb gingen sie den langen Wandelgang entlang. Bald schon ragten die goldenen Türen zum Thronsaal hoch vor ihnen auf. Sie wirkten im Mondlicht fast silbern. Als sie sie erreicht hatten, stellten sie fest, dass sie verschlossen waren.
»Nicht verschlossen«, sagte Eli und ließ die Hände über die goldene Oberfläche gleiten, soweit er sie erreichen konnte. »Die Türen selbst sind irgendwie versiegelt worden.« Er ging in die Knie und versuchte, unter der Tür hindurchzuspähen, aber die Türen waren so bündig an den Marmorboden angepasst, dass nicht einmal der kleinste Spalt blieb.
»Nico«, sagte Eli und trat zurück. »Wenn du so freundlich wärst.«
Nico nickte und schob die voluminösen Ärmel ihres Mantels zurück. Dann suchte sie sich einen sicheren Stand, bevor sie ihre Handflächen gegen das Metall presste. Die Türen stöhnten unter dem Druck und fingen an, sich nach innen zu biegen. Risse erschienen in den Goldverzierungen und wuchsen zu spinnennetzartigen Mustern an, als Nico fester drückte. Mit einem leisen Knacken fielen große Goldflocken zu Boden und enthüllten ein anderes, dunkles Metall. Die Tür schrie, und der Marmor unter Nicos Füßen begann zu brechen, aber der unter dem Gold versteckte eiserne Kern der Türen gab nicht nach. Nico biss die Zähne zusammen, drückte noch fester und knurrte dabei leise. Die Steinpfeiler neben der Tür fingen an zu knirschen. Staub fiel von der Decke. Zuerst waren es nur kleine Rinnsale, dann folgten faustgroße Steinbrocken, die um sie herum einschlugen wie Hagel.
»Das reicht!«, schrie Eli und duckte sich. »Du wirst noch die Decke zum Einsturz bringen!«
Nico trat keuchend zurück. Die Türen waren zwar angeschlagen und mit zwei Vertiefungen in Form von Nicos Händen versehen, aber sie blieben geschlossen. Miranda bückte sich und zog eine der größeren Blattgoldplatten aus dem Schutt. »Die berühmten goldenen Türen von Mellinor«, sagte sie und gab Eli das Stück. »Nur eine vergoldete Fälschung.«
»Gold ist sowieso ein unpraktisches Material, um daraus Türen zu fertigen.« Eli zerdrückte die Goldfolie und ließ den Klumpen in seine Tasche gleiten. »Nun, eigentlich wollte ich das schnell erledigen, aber ich nehme an, uns bleibt keine Wahl.«
Nico trat zur Seite, und Eli nahm ihren Platz in dem Marmorkrater ein, der noch vor einer Minute ein glatter Boden gewesen war.
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