Meister der Stimmen: Roman (German Edition)
sich bewegte und einen Mund öffnete, aus dem Feuer tropfte.
»Eli«, sagte es. »Es ist schön, dich zu sehen.«
Eli zog sein Hemd zu und bedeckte damit seine jetzt makellose Brust. »Ebenso, alter Freund.«
Miranda konnte nicht glauben, was sie sah. Der riesige Geist glühte wie die Esse einer Schmiede, aber seine Festigkeit und sein Gewicht erinnerten sie an Banages größten Steingeist. Die Hitze, die von dem Wesen ausging, war stärker als bei Kirik, wenn er in Höchstform war, und der Gigant hatte noch nicht einmal etwas getan.
»Ein Lavageist«, sagte sie, ohne sich die Mühe zu machen, ihre Fassungslosigkeit zu verbergen. »Ich habe noch nie einen Magier getroffen, der einen Lavageist als Diener halten konnte. Nicht einmal Meister Banage.«
»Das hast du auch jetzt nicht«, sagte Eli. »Karon ist kein Diener. Er ist mein Gefährte.«
»Aber«, keuchte Miranda, »wie kontrollierst du ihn?«
»Das tue ich nicht«, sagte Eli mit einem Grinsen. »Ich frage höflich.«
Der riesige, brennende Geist sah zwischen Eli und Miranda hin und her. »Du befindest dich dieser Tage in seltsamer Gesellschaft«, rumpelte er.
»Nur vorübergehend«, versicherte Eli ihm. »Also, ich hatte gehofft, dass du mir einen Gefallen tun könntest. Es wäre mir wichtig, diese Türen zu öffnen.«
Karon warf einen strengen Blick auf die Türen. »Sie unterstehen einem mächtigen Befehl. Es mag sein, dass ich sie dafür töten muss.«
»Das könnte vielleicht sogar eine Gnade sein«, murmelte Eli. Dann blickte er zu Miranda, die sichtlich aufgewühlt war, und seufzte. »Sei so sanft wie möglich. Die Spiritisten waren schon immer ein rührseliger Haufen.«
Karon nickte und wandte sich den Türen zu. Miranda konnte durch den Marmor fühlen, wie die zwei Flügel zitterten. Aber selbst im Angesicht des Todes hatten sie zu viel Angst, um sich zu öffnen. Als der Lavageist vortrat, zogen sich Nico und Eli hinter eine der Steinsäulen zurück, und einen Moment später folgte ihnen auch Miranda. Der Gang bebte, als der Lavageist sich vor den zitternden Türen aufbaute. Karon schlug ein paarmal seine Fäuste gegeneinander, um sie weiß glühen zu lassen, dann versenkte er sie mit einem Zischen in dem zitternden Metall. Die Türen schrien schon bei der ersten Berührung, und die Luft füllte sich mit dem beißenden Geruch von Eisen. Schmelzendes Gold glitt in leuchtenden Rinnsalen die Türen hinab, als sich unter Karons Hitze die letzten Verzierungen auflösten wie Schokolade in der Sonne. Karon ignorierte den Reichtum, der um ihn herumfloss, und rammte seine Hand tiefer in das schreiende Herz des Eisens. Schließlich konnte das verängstigte Metall nicht länger standhalten, und die Türen lösten sich auf. Eisen tropfte wie Wachs von Karons Fingern und fiel in großen, zischenden Tropfen auf den Marmor. Weiter hinten versteckte sich Miranda hinter Eli und schreckte vor den Metallspritzern und Karons Hitze zurück. Sie umklammerte mit der linken Hand den leeren Finger, wo sonst Allinus Ring ruhte. Niemals in ihrem ganzen Leben hatte sie sich mehr nach ihrem kühlen Nebelgeist gesehnt.
Schließlich ließ die Hitze nach, und Miranda fühlte, wie Karon zurücktrat. Sie spähte um die Säule. Alles, was von den goldenen Türen von Mellinor noch übrig war, war ein klaffendes Loch, dessen geschmolzene Ränder flüssiges Metall auf den geschwärzten, rissigen Boden bluteten.
Karon sah zu Eli, der den Trümmerhaufen aus der Ferne bewunderte.
»Gute Arbeit«, sagte der Dieb mit einem Nicken.
Das Gesicht des Lavageistes bewegte sich auf eine Art und Weise, die Miranda für ein Lächeln hielt. Eli schlenderte vorwärts und stieg ohne zu zögern über das immer noch dampfende Metall. »In der Tat, sehr gute Arbeit«, meinte er noch einmal, dann grinste er zu Karon hinauf. »Und wenn es dir nichts ausmacht, fände ich es nett, wenn du noch eine Weile hierbleibst. Ich habe das Gefühl, dass ich deine Hilfe früher brauchen werde, als mir lieb ist.«
Karon nickte, kauerte sich neben die zerstörten Türen und beobachtete gespannt, wie Eli über die dampfende Türschwelle trat.
Jenseits von Karons Lichtschein war der Thronsaal genauso dunkel, wie die Schatzkammer es gewesen war. Miranda ging hinein und war zunächst noch durch Karons rötliches Licht geblendet, doch dann passten ihre Augen sich an, und der Raum bekam Konturen. Zunächst bemerkte sie, dass die königlichen Banner, welche die gegenüberliegende Wand geziert hatten, verschwunden
Weitere Kostenlose Bücher