Meister Li und der Stein des Himmels
kann.«
Bis auf die letzte Zeile
jedes dritten Verses wird alles emotionslos gesungen. Nach einigen Monaten
windet sich der Angesungene, sobald der dritte Vers anhebt. Ein Herr kann
schwer rechtfertigen, daß er den aufsässigen Bauern die Köpfe abschlägt, denn
es ist ja nur ein Arbeitslied.
Bum, bum, bum:
»Im achten Monat
bereiten wir Scheunen und Schober vor,
Im neunten Monat bringen
wir die Ernte ein;
Hirse für Wein, Hirse
zum Kochen, früh und spät,
Reis und Hanf, Bohnen
und Weizen.
Herr, die Ernte ist
vorbei.
Wir beginnen die Arbeit
an Euren Häusern;
Am Morgen sammeln wir
Schilfgras für die Dächer,
Am Abend drehen wir
Seile,
Wir arbeiten schnell auf
den Dächern,
Denn bald werden wir das
viele Getreide des
Herrn säen .«
»Wie können sie mir das
antun ?« klagte der Prinz. »Sie wissen sehr wohl, daß
meine Familie seit Jahrhunderten nicht eine einzige Kupfermünze oder ein
Reiskorn gefordert hat .«
Bum, bum, bum:
»In den Tagen des ersten
Monds hacken wir Eis mit klingenden Schlägen;
In den Tagen des zweiten
Monds tragen wir es in die Kühlkammern.
In den Tagen des dritten
Monds, sehr früh, Bringen wir Schweine und Knoblauch, damit unser Herr essen
kann.
Im zehnten Mond gibt es
strenge Fröste;
Wir räumen die Scheunen
und Schober,
Mit Zwillingskrügen
feiern wir das Dorffest,
Schlachten dafür ein
Frühjahrslamm.
Wir steigen hinauf zur
Halle unseres Herrn,
Heben die Becher aus
Büffelhorn:
Ein Hoch auf unsern
Herrn! Er lebe immer und ewig !«
»Das halten sie ein Jahr
lang durch ?« fragte der Prinz. »Ich glaube, ich weiß,
was sie wollen. Aber ich ziehe es vor, mir das erklären zu lassen .«
»Ihr und nur Ihr allein
habt das Recht, Euren Ahnen auf die alte Art zu beseitigen«, sagte Meister Li
freundlich, »mit der alten Art meine ich prä-konfuzianisch .« »Das wird mit den Foltern der Achten Hölle bestraft«, sagte der Prinz zornig.
»Ja, wie unsere
neo-konfuzianischen Herren sagen. Sie legen Rivalen auch die heilige Pflicht
auf, sich nach dem Tod des Vaters sieben Jahre aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen,
und dann vergiften sie den Vater«, sagte Meister Li sarkastisch.
Prinz Liu Pao war aus
hartem Holz geschnitzt. Er drehte sich wortlos um und marschierte das Linke
Drachenhorn hinauf in Richtung Schloß. Er bog vom Pfad ab und nahm eine
Abkürzung zur Grotte. Das schaurige medizinische Forschungszentrum schien durch
das gedämpfte Trommeln und Singen in der Ferne nur noch schauriger zu sein. Der
Prinz öffnete die Tür zur Grabkammer und ging mit großen Schritten zum
Sarkophag seines Ahnen. »Ochse, kannst du den Deckel ganz nach unten schieben ?« Ich spuckte in die Hände. Der Deckel war so schwer, daß
ich ihn nicht mehr halten konnte, als er bis zu den Füßen der Mumie geglitten
war, und er fiel krachend auf den Boden. Prinz Liu Pao blickte auf die Überreste
seines Vorfahren hinunter, und Meister Li bedeutete mir mit einer Geste, ich
möge den anderen Sarkophag ebenfalls öffnen. »Wenn wir schon dabei sind, möchte
ich etwas untersuchen«, sagte er.
Der Deckel ließ sich
leichter bewegen, und die Mumie von Tou Wan, der Gemahlin des Lachenden
Prinzen, war unbeschädigt. Meister Li griff in den Sarkophag und holte einige
Schmuckstücke heraus, die er genau betrachtete. »Gute Sachen, aber nicht die
besten«, sagte er nachdenklich, »wie man sagt, war Tou Wan eine Verschwenderin
von klassischem Format, und ich bezweifle, daß dies hier ihren Ansprüchen
genügt hätte. Man fragt sich, ob ihre Hoheiten nicht von einem Diener mit
langen Fingern begraben worden sind .«
Er kratzte sich die Stirn.
»Seltsam«, murmelte er,
»der Lachende Prinz betete anscheinend einen Stein an. Seine Frau tat es
möglicherweise auch, und doch liegt der Stein weder in dem einen noch in dem
anderen Sarg. Auch das der treue Diener?« Wir hörten ein Geräusch und drehten
uns um. Der Prinz mühte sich damit ab, die Mumie seines Ahnen aus dem Sarg zu
nehmen. Doch die geteerten Binden machten sie schwer und unförmig. Ich wollte
ihm helfen, aber Meister Li hielt mich zurück. Prinz Liu Pao traten dicke
Schweißtropfen auf die Stirn, aber er schleppte tapfer seine Last durch die
Grabkammer, durch die Grotte und hinaus auf den Pfad. Er bog vom Pfad ab und
trug die Mumie zu einem flachen Felsvorsprung hoch über dem Tal der Seufzer.
Jedes Auge mußte sich inzwischen dorthin gerichtet haben. Die Trommeln
verstummten. Der Prinz suchte einen schweren Stein, und ich schloß
Weitere Kostenlose Bücher