Meister Li und der Stein des Himmels
größte Heiligtum des
Museums sind die Konfuzius-Steine. (Auf diesen Steinen sind alle
zweihunderttausend Schriftzeichen der Texte des Meisters eingemeißelt.) Ein
niedriges Geländer umgibt sie, und die Vorschrift besagt, daß man sie ansehen,
aber nicht berühren darf. Meister Li ließ die kleinen Engel in Reih und Glied
für einen Tribut antreten, der Konfuzius' würdig war; ihr »Der Turm des
Schwebenden Blau-Grün« trieb allen - einschließlich mir - die Tränen in die
Augen.
»Die Hoffnung des Reichs !« jubelte ich zusammen mit Mondkind, Klagende
Morgendämmerung, der Matrone und dem Herrn mit den Orden.
Die Händler waren wieder
innerhalb von Minuten ausverkauft. Mir fiel auf, daß die Kleinen grün um die
Nasenspitzen wurden. Wie auf Befehl drehten sie sich alle um und tasteten nach
einem Halt, den sie zufällig am niedrigen Geländer fanden, sie beugten sich
darüber und kotzten ihre kleinen unschuldigen Bäuche leer - alles auf die
Konfuzius-Steine. »Millionenfaches Elend !« heulte
Meister Li. Ein Herr der alten Schule ist jedoch auf Notfälle vorbereitet, und
mit vereinten Kräften stellten Meister Li und der grimmige Alte eine Eimerkette
aus Freiwilligen zusammen, die Wasser über die Steine goß, um sie zu säubern.
Gründlichkeit ist ebenfalls ein Zeichen der alten Schule, und Meister Li ruhte
nicht eher, als bis er ein paar große Bogen Papier aus dem Gewand gezogen und
sie fest auf die Vertiefung der geheiligten Texte gepreßt hatte.
Glücklicherweise trug er auch einen riesigen blauen Schwamm bei sich und rieb
damit die Oberfläche so energisch, daß das Papier sich blau färbte. Als er die
Bögen abnahm, waren die Steine beinahe trocken und so gut wie neu.
Die Umstehenden erklärten
mittlerweile den wütenden Wärtern, daß alles ihre Schuld sei, weil sie die
kleinen Engel mit Süßigkeiten vollgestopft hatten. Die Matrone und der mit
Orden dekorierte Herr gingen herum und sammelten, um die Strafe zu bezahlen.
Als Meister Li mit den Kleinen abmarschierte, blieb kein Auge trocken, und
hinter uns hörte ich einen Chor rufen: »Die Hoffnung des Reichs !« Meister Li führte die Schulklasse auf eine versteckte
Wiese. »Also gut, ihr Bengel, jetzt dürft ihr !« sagte
er. Die Jungen fielen ins Gras, rollten herum, boxten sich gegenseitig und
johlten. »Bitte, dürfen wir es sehen ?« fragte einer
von ihnen, als er sprechen konnte.
Meister Li zog die Bogen
hervor. Die Tusche aus dem Schwamm hatte sich gut verteilt, und die Abdrücke
waren makellos. Es ist sehr schwer, an echte Reibedrucke der Konfuzius-Steine
zu kommen. Die Jungen baten Meister Li, bei ihm bleiben zu dürfen und das
verbrecherische Leben fortzuführen, aber er riet ihnen, in der Schule zu
bleiben, sich beim Lernen anzustrengen, damit sie einmal dem Volk helfen
könnten, wenn es mit ihm bergab ging. Dann brachte er sie zu ihrem Lehrer zurück
und tauschte mit dem Lehrer den Platz in der Kneipe.
Er bestellte kao-liang - diesem Zeug verdankt er übrigens seinen Namen. Es ist ein fürchterlicher Wein,
aber ein wunderbarer Abbeizer. Er benutzte ihn, um auf den Bögen die Spitze von
jedem St zu entfernen, das von einem "T begleitet war, und sie durch einen
flachen Strich zu ersetzen: Jü. Dann verließ er die Kneipe, und wir gingen die
Straße des Scharlachsperlings zur Drachenkopf-Ebene hinauf. »Bruder Blinzeis
Fälschung war die plumpe Pause einer verschlüsselten Handschrift von Ssu-ma,
die den Namen von Ssu-mas Vater enthielt. Einem Sammler wäre sie beinahe mit
Sicherheit wie die eindeutigste und ungeschickteste Fälschung der Geschichte
erschienen«, erklärte er, »wenn der dumme Mönch sie nach Ch'ang-an brachte und
versuchte, sie zu verkaufen, ist es ein Wunder, daß man ihn nicht auf der
Stelle enthauptet hat. Es gibt jedoch einen Platz, wo man ihm das Ding
möglicherweise abgekauft hätte, und vielleicht hat ihm ein mitleidiger Mensch
gesagt, wohin er gehen soll .« Der Pavillon der
Segnungen des Himmels ist die größte Bibliothek der Welt. Neben der Sammlung
von Handschriften gibt es dort auch eine Sammlung von Fälschungen. Beide können
für Gelehrte aufschlußreich sein. Einige kläglich plumpe Fälschungen zeigt man
zur Unterhaltung der Besucher. Meister Li ging geradewegs in das Zimmer von Liu
Hsiang, dem Oberbibliothekar. »Grüß dich, Hsiang«, sagte er fröhlich. »Schließt
die Handschriften ein! Schließt das Silber und die Weihrauchgefäße weg!
Schließt eure Frauen ein und zählt eure Ringe und haltet die
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