Meister Li und der Stein des Himmels
Verschiebung von Ch'i, der
Lebenskraft, in einigen Klimazonen. Und was die Plötzlichkeit dieses
Ereignisses angeht - es spricht theoretisch grundsätzlich nichts dagegen,
weshalb eine überwältigende Konzentration von Ch'i nicht weniger starke
Lebenskräfte anziehen kann und auf diese Weise alles in seinem Weg zerstört,
gleichgültig, ob die Absicht dahinter so gut war, wie Li Ling-chi zu sein
glaubte, oder so schlecht, wie der Lachende Prinz, der sich über die
Schlechtigkeit seines Tuns durchaus im klaren war.
Meister Li warf die letzte
Heuschrecke einem Fisch im Teich zu und griff nach der gestohlenen
Schriftrolle. »Glaubt es, oder glaubt es nicht«, sagte er, »an dieser Sache ist
etwas dran. Ihr müßt nur ein bißchen Geduld haben. Gehe ich recht in der Annahme,
daß ihr alle den Traum der Roten Kammer nach den ersten beiden Absätzen
zur Seite gelegt habt ?«
Klagende Morgendämmerung,
Mondkind und ich wurden rot. Das »Kronjuwel der chinesischen Literatur« hat ein
Problem: Es hat zweitausend Seiten und ebenso viele Figuren; der Held ist ein
verweichlichter Esel, dem man entweder hätte den Hintern versohlen sollen oder
den man einen Kopf kürzer hätte machen müssen - denn sowohl Hintern wie Kopf
sind gleichermaßen widerwärtig. »Macht nichts«, sagte Meister Li, »das Buch ist
unzählige
Male überarbeitet worden,
unter anderem von Kao Ngoh und weniger begnadeten Talenten. Die neueren
Versionen haben kaum noch eine Ähnlichkeit mit dem Original. Das hier ist das
Original, und es enthält eine sehr eigenartige Geschichte. Hört gut zu .«
Meister Li öffnete die
Rolle, suchte die Stelle und las eines der seltsamsten und auf höchst
unbefriedigende Weise unvollständigen Märchen vor, das ich je gehört habe. »Die
Göttin Nu Kua wählte zum Bau der Himmelsmauer 36501 Steine. Aber einen mußte
sie verwerfen, denn er hatte einen schwerwiegenden Fehler. Der Fehler war etwas
Böses. Durch die Berührung der Göttin bekam der Stein zwar eine Seele, aber die
Seele war böse. Der Stein hatte außerdem gelernt, sich zu bewegen; er wanderte
durch den Himmel und verursachte großes Leid. Schließlich mußte der Erhabene
Himmelskaiser eingreifen.
Der Himmlische Jadekaiser
geht immer sehr feinsinnig vor. Im Himmel gab es auch eine Blume namens
Purpurperle. Purpurperle besaß einen noch größeren Fehler und war noch böser
als der Stein. Der Himmelskaiser pflanzte die Blume an eine karge Stelle am
Fluß der Geister, und dort entdeckte sie der umherstreifende Stein. Das Böse
zieht das Böse an, und bald brachte der Stein der Blume Wassertropfen, um sie
vor dem Verwelken zu bewahren. Purpurperle blühte und wurde sehr schön. Der Tau
und die Regentropfen des Himmels befreiten sie vom Bösen, und sie verliebte
sich in den Stein. Sie gelobte, bei einer Wiedergeburt auf der Erde werde sie
auf die Sphäre der Gebannten Qualen freiwillig verzichten und die Quelle des
Getränkten Leids suchen. Tränen würden sich in ihr sammeln, und wenn sich die
Gelegenheit bot, werde sie ihre Schuld dem Stein gegenüber begleichen, indem
sie jede einzelne Träne vergoß, die sie besaß. Der eigenartige Schwur einer
Blume ist von größter Bedeutung. Der Stein wurde auf die Erde zurückgeschickt
und geriet in die Hände von Lao Tzu. Der große Meister rief: Er ist das
Böse ! und warf ihn weg. Der Stein geriet in die
Hände von Chuang Tzu. Der große Meister rief: Er ist das Böse ! und warf ihn weg. Jetzt liegt der Stein in der
Dunkelheit und wartet auf die Hand, die ihn nicht wegwerfen wird. Und wer den
Stein besitzt, wird von ihm besessen sein. Der Stein ist der Stein des Bösen,
und sein Unheil wird sich ungehindert verbreiten, wenn es sich nicht in den
Tränen von Purpurperle auflöst und von ihnen abgewaschen wird. Kein Mensch darf
in das Schicksal der Blume eingreifen, denn die Göttin Kua und der Himmlische
Jadekaiser warten darauf, daß sich das Schicksal erfüllt .« Meister Li warf die Schriftrolle ins Gras. Ich verschluckte mich an einer
Heuschrecke. »Ist das alles ?« fragte ich ungläubig.
»Nicht, wenn man Ssu-ma
Chien glauben darf«, erwiderte Meister Li. Er griff nach Bruder Blinzeis Pause
und hatte den Text schnell entschlüsselt.
»Die Geschichte über
den Stein in Rote Kammer richtig. Tafel aus Yus Höhle... Bestätigung der
Reaktion von Lao Tzu und Chuang Tzu... Habe den Weg des Steins bis zu Prinz Liu
Sheng verfolgt... Besessen vom Bösen, ist er der Lachende Prinz geworden...
Geheimes Versteck... Die
Weitere Kostenlose Bücher