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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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schöne Stimme, die ein obszönes Lied singt.
    »Am andern Ufer lebt ein
Knahaaaaaaaaabe
    Mit einem zarten
Pfirsichpopoooooooooooo!«
    Den Rest kann man nicht
wiedergeben. Ich höre sechs Kolibris, die sich auf meinen Tee stürzen, drehe
mich nach den Kolibris um, sehe Mondkind, der etwas mit seiner Kehle macht.
Wutgeschrei ist inzwischen sehr nahe, eine mordlüsterne Menge stürmt über den
Hügel. Der Anführer schwingt eine Mistgabel und zerrt einen weinenden Jungen
hinter sich her. Mondkind nimmt die Tasse Tee, die ich ihm gebe. Der Anführer
stößt wüste Drohungen aus, Mondkind trinkt Tee. Der Anführer geht mit der
Mistgabel auf ihn los. Mondkind lächelt - die Luft wird schwefelgelb. Er
lächelt breiter - die Hügel knistern unter Hitzewellen. Mondkind krault den
Anführer unter dem Kinn und schnurrt wie eine Katze: »Komm mit, Süßer .« Er verschwindet mit dem Anführer hinter einem Felsen; der
Junge hört auf zu weinen und beginnt zu lachen. Ich biete der mordlüsternen
Menge Tee an. Hinter dem Felsen hört man wollüstige Laute. Der Junge kann nicht
aufhören zu lachen. Biete der mordlüsternen Menge Reis an. Der Anführer taucht
auf und nestelt an seinen Kleidern, lehnt Tee und Reis ab und zieht den Jungen
am Ohr mit sich fort. Mondkind kommt pfeifend hinter dem Felsen
hervorgeschlendert. Meister Li wacht auf, wirft einen Blick auf Mondkind und
die abziehende Menge, murmelt: »Wenn ich nur noch einmal neunzig wäre«, und
schläft wieder ein.
    *
    Unser Weg nach Ch'ang-an
führte uns an Mondkinds Geburtsort vorbei. Von da ab wußte ich, daß Mondkinds
moralische Verworfenheit seiner Kunst glich, das heißt, sie war beinahe
übernatürlich.
    *
    Die Straße zu seinem
Geburtsort führt an einem kleinen Tempel vorbei. Ein Priester taucht auf. Er
starrt Mondkind an, rafft die Kutte und stürzt in Richtung Dorf davon: »Sperrt
die Jungs ein! Sperrt die Männer ein! Sperrt die Ziegen und Esel ein !« Mondkind lächelt stolz. Wir erreichen das Dorf. Eine Frau
kommt aus einem Haus: »Mein Sohn !« Sie fällt in
Ohnmacht. Der Vater kommt heraus und schwingt die Peitsche: »Schmach! Schande!
Sodomie! Infamie! Agonie! Anomalie!« Ein gebildeter Vater, denke ich. Der Priester eilt herbei und besprengt Mondkind mit
Weihwasser und schlägt ihn mit der Rute. Mondkind krault ihm das Kinn:
»Kitchy-koo .« Der Priester fällt in Ohnmacht. Die
Mutter kommt zu sich. »Der Himmel ist mein Zeuge, daß ich unschuldig bin !« Sie sinkt wieder zu Boden. Mondkind lächelt stolz.
Nachbarn laufen
    herbei. Mondkind wirft
ihnen Handküsse zu. Der Vater folgt ihm durch das Dorf und schwingt die
Peitsche: »Amoral! Degeneration! Perversion!« Mondkind wirft Handküsse. Pferde,
Ziegen, Stiere, Esel: wiehern, meckern, brüllen, schreien. Mondkind wirft
Handküsse. Meister Li murmelt: »Eine ziemlich aktive Kindheit .« Wir kaufen ein Boot und legen ab. Eigenartiger leiser, rauher Laut. Mondkind
macht etwas mit der Kehle. Schwäne schwimmen herbei. Große, weiße, leuchtende
Wolken von Schwänen; ein Baldachin aus Flügeln hebt sich über Mondkind; Federn
glänzen in der Sonne. Schön. Unwirklich.
    *
    Klagende Morgendämmerung
war eine wandelnde Sammlung von Widersprüchen. Sie war ein einfaches
Bauernmädchen und sprach wie ich das pai hua des Volkes, flocht jedoch
manchmal unbewußt wen Ii Ausdrücke ein, die einem Höfling Ehre gemacht
hätten. Sie schminkte sich die Stirn gelb, weigerte sich jedoch, die
Augenbrauen zu zupfen und nachzuziehen - sie war halb Dame, halb Bäuerin. Sie
war schamlos genug, ihre Haare offen zu zeigen, wurde jedoch wütend, wenn sie
einen Mann in Trauer um seine Mutter sah, der anstelle des angemessenen
Maulbeerstabs einen Eichenstock trug. Sie war eine Prostituierte, die einen
Fächer zurückwies, den Mondkind für sie gekauft hatte, weil er sich falten
ließ, und die Symbolik unanständig war, denn: »Damen tragen nur starre Fächer.«
    Meister Lis Augen
leuchteten. »Ich habe die Sache mit dem Fächertabu nicht mehr gehört, seit ich
ein kleiner Junge von sechs oder sieben war !« rief er.
»Kleines Fräulein Saubere Sandalen«, neckte ich sie. »Jeder sollte seine
Sandalen hin und wieder abstauben«, entgegnete sie. Dann staubte sie ihre
Sandalen mit zwei flinken Tritten in meinen Hintern ab. »Schildkröteneil« schrie sie. Meister Li bog sich vor Lachen. Als er wieder sprechen konnte,
erklärte er, daß man früher geglaubt habe, daß
    Schildkröten sich durch
Gedanken befruchten, was es unmöglich

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