Meister Li und der Stein des Himmels
auf das Hübsche Mädchen zu, auf
Felsen, die wie eine nackte Nymphe aussehen, daran vorbei zum Frosch, wo das
Wasser durch ein steinernes Ochsenfroschmaul vierzig Fuß weit schießt. Wir
brachten die Shiling-Schlucht und die Chutang-Schlucht ohne Zwischenfälle
hinter uns. Meister Li und Mondkind hatten einander die Arme um die Schultern
gelegt und grölten ein unanständiges Lied. Ich war dumm genug zu glauben, das
Schlimmste sei vorbei. Dann sah ich, was uns erwartete, und fiel beinahe in
Ohnmacht. Hinter der Gischt tauchte die Wu-Schlucht auf.
Der Tag wurde zur Nacht.
Wir jagten durch eine Schlucht, die so eng war, daß man nur mittags die Sonne
in einem winzigen Streifen Himmel über den hoch aufragenden Klippen sah. Je
schmaler der Yangtse wurde, desto schneller floß er. Der Lärm war unglaublich.
Nebel, der uns mit tausend Nadeln stach, verhüllte gnädig die Felsen, die wie
Fangzähne darauf warteten, uns zu zerreißen. Nüchtern wären wir starr und
verspannt gewesen, und wir hätten uns alle Knochen gebrochen, aber so waren wir
schlaff und weich wie Mehlsäcke. Ich hätte es vorgezogen, nicht bei Bewußtsein
zu sein, denn die Fünf Not Fälle stürzten uns mit hundert Meilen in der Stunde
entgegen.
Meister Li schwang fröhlich
den Weinkrug. »Eins !« brüllte er, und plötzlich
flogen wir durch die Luft. Das kleine Boot drehte sich zweimal um sich selbst,
als wir über den Wasserfall segelten, und wir landeten mit einem so heftigen
Klatschen im Wasser, daß eine fünfzig Fuß hohe Gischtfontäne die Steilwände
besprühte. Irgendwie gelangte mein Magen wieder an seinen Platz, und schon
brüllte Meister Li: »Zwei !« Wieder schössen wir
dem Himmel entgegen und streiften praktisch eine der Felswände, während wir
durch die Luft geschleudert wurden. Es war weit bis zur Wasseroberfläche unter
dem zweiten Fall; Klagende Morgendämmerung und ich klammerten uns vor Entsetzen
aneinander. Kaum waren wir gelandet und hatten uns von den Bootsplanken gelöst,
als wir spürten, wie unsere Mägen sich wieder verabschiedeten. »Drei !« johlte Meister Li, und wir segelten durch den Raum.
Ich erinnere mich nicht mehr daran, daß wir wieder im Wasser landeten. »Vier !« sang Meister Li. Ich öffnete die Augen und stellte
fest, daß wir ungefähr in Richtung Venus flogen. Das Boot drehte sich in der
Luft, und wir landeten rückwärts. Auf diese Weise sah ich, daß wir um
Haaresbreite einem Felsen entgangen waren, der wie eine fünfzig Fuß lange Säge
aussah. Das Boot drehte sich, und ich entdeckte, daß wir auf die engste Stelle
der Schlucht zutrieben. Ich starrte auf eine Fontäne, die in zahllose
Regenbogen gehüllt hundert Fuß in das Nichts hinausschoß. Wir befanden uns in
der Fontäne. »Fünf !« brüllte Meister Li. Ich
begriff, daß wir aus der Wu-Schlucht hinaus ins All geschleudert wurden und
durch den leuchtend blauen Himmel flogen. Dann schloß sich die Gischt um uns,
und wir stürzten blindlings nach unten. Hinunter und hinunter und hinunter, und
ich betete, daß das Boot mit der richtigen Seite landen würde. Die Wucht des Aufpralls
schleuderte mich fast durch die Bootsplanken. Ich glaube, ich war bewußtlos,
denn es dauerte einige Zeit, bis meine verwirrten Sinne wieder funktionierten,
und dann überlegte ich, was nicht stimmte: Der Lärm war verstummt! Das Boot
trieb friedlich im ruhigen Wasser. Ich hatte das deutliche Gefühl, daß ich im
nächsten Augenblick von einem riesigen Maul verschluckt werden würde, setzte
mich auf und starrte auf das heiter gelassene Lächeln des Großen Buddha von
Loshan: 360 Fuß hoch ist er am sicheren Ende der Wu-Schlucht in den Fels des
Gelben Büffel-Bergs gehauen. Die Fünf Not Fälle hatten wir hinter uns gelassen
und auch den König von Chao. Das einzige Problem waren Meister Li und Mondkind.
Sie wollten zurück und das
Ganze wiederholen. Aber Klagende Morgendämmerung und ich setzten uns so lange
auf sie, bis sie wieder bei Sinnen waren.
12.
Die nächsten Tage waren
recht interessant, wenn auch anstrengend. Ich habe mir Notizen gemacht, und
vielleicht sollte ich an dieser Stelle ein paar einfügen.
*
Ich wache auf, reibe mir
die Augen und betrachte einen Käfer, der mir ins linke Nasenloch kriechen will.
Klagende Morgendämmerung schläft, Meister Li schnarcht, Mondkind ist
verschwunden. Ich stehe auf, sammle Feuerholz. In der Ferne bellen Hunde, ich
höre Wutgeheul. Ich koche Tee, hole noch einmal Wasser für Reis. Das
Wutgeschrei kommt näher und eine
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