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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Sommer und das Geräusch von Feuer. Alle Instrumente
ließen sich leicht einordnen, bis die Alten zu den tönenden Steinen kamen. Dann
entstand ein fürchterlicher Streit, der beinahe sechs Jahrhunderte dauerte. Sie
einigten sich ohne Schwierigkeiten auf Nordwest und Herbst - Winter. Das
Problem lag bei dem zugeordneten Klangphänomen. Die Entscheidung, die sie
trafen, ist immer noch heftig umstritten. Es ist nicht leicht, aber ich will
versuchen, euch zu zeigen, weshalb sie zu ihrer Entscheidung kamen .«
    Er nahm zwei Steinglocken
aus dem Gestell, befestigte sie so an dem Bambusrahmen, daß die Glockenmünder
sich beinahe berührten. Er wählte zwei Schlagbalken und hielt sie so, daß die
Enden der Balken beinahe die Glockenkörper berührten.
    »Ochse hat versucht, mir
den eigenartigen Ton auf der Prinzentrift zu beschreiben«, sagte er. »Meister
Li hat von einem Stein gesprochen, den möglicherweise der Himmel berührt hat
und der vielleicht ein übermächtiges Ch'i besitzt. Ich weiß nur, daß ein
Stein zwei verschiedene Töne hervorbringt. Die meisten Menschen haben nur den
Ton der Oberfläche gehört. Der andere Ton kommt von der Seele .« Mondkind begann, die Schlagbalken ganz leicht und sehr schnell gegen die
Glocken zu schlagen. Ein dumpfer Steinton erfüllte den Tempel. Seine Hände
bewegten sich schneller und schneller. Eine merkwürdige Schwingung löste bei
mir Übelkeit im Magen aus. Mondkinds Hände waren inzwischen nur noch
undeutliche Schatten, und die Schwingung wurde zu einem Summen, das den Tempel
erzittern ließ. Er senkte den Kopf, und sein Mund berührte beinahe den schmalen
Spalt zwischen den beiden Glocken. Mondkinds Kehle begann zu vibrieren wie die
eines Kolibris, und ich begriff, daß er seine Stimme irgendwie gleichzeitig in
die Münder der zwei Glocken hineinschickte, aber ich hörte nur das Summen.
Schweiß rann ihm über das Gesicht, und die Kehle vibrierte schneller und
schneller. »Wenn die Glocke spricht, antwortet der Stein .« Und die Steine begannen zu antworten. Zuerst war es ein beinahe unhörbares Echo
unter dem vibrierenden Summen, das allmählich lauter wurde. Dann brach das Echo
durch, und mir zersprang beinahe das Herz im Leib.
    »Kung... shang. . . chueeeeeeeeeeeeeh...« Auf der Prinzentrift hatte Meister
Li den Ton nicht hören können, aber jetzt sah er aus, als hätte ihm jemand mit
einer Stange auf den Kopf geschlagen. Klagende Morgendämmerung weinte. »Das ist
er !« rief ich. »Der Ton, den ich gehört habe, war
tausendmal klarer und stärker, aber das ist er ganz genau !«
    »Kung... shang...
chueeeeeeeeeeeeeeeeeeeeh ...« Schweißgebadet trat Mondkind ein paar Schritte zurück.
»Die Alten«, stieß er keuchend hervor, »kamen zu dem Schluß, daß das dem
Seelenton des Steins verwandte Klangphänomen nichts geringeres ist als die
Stimme des Himmels .«
    »Gut, gut, gut«, sagte
Meister Li.
    Auf dem Rückweg zum Tal der
Seufzer wiederholte er immer wieder: »Gut, gut, gut... gut, gut, gut...«
    Seit Monaten hatte ich ihn
nicht mehr so glücklich gesehen.
    *
    Prinz Liu Pao freute sich,
uns wiederzusehen. Zunächst freute ich mich auch, ihn wiederzusehen, aber dann
stellte Meister Li ihm Klagende Morgendämmerung vor. Der Prinz machte einen
Luftsprung, wurde abwechselnd rosa und blaß, und das folgende Gespräch hörte
sich etwa so an. »Möchtest du Tee ?«
    »Nein danke, Hoheit«, sagte
Klagende Morgendämmerung.
    »Vielleicht Wein?«
    »Nein danke, Hoheit«, sagte
Klagende Morgendämmerung. »Kuchen, Obst?«
    »Nein danke, Hoheit«, sagte
Klagende Morgendämmung. »Wie wäre es mit ein paar Schwänen ?« fragte der Prinz hoffnungsvoll, »Münzen, Lämmer, Seide?«
    Da dies die klassischen
Hochzeitsgeschenke sind, wußte ich nur allzu genau, ich hatte Probleme.
    Auf Mondkind reagierte der
Prinz ebenso heftig, und innerhalb weniger Minuten waren die drei
unzertrennlich, und ich machte mir ernste Gedanken darüber, daß Klagende
Morgendämmerung gesagt hatte, ein Teil der Seele, die sie mit Mondkind teile,
sei auf dem Großen Rad der Wandlungen verlorengegangen. Hatte die umherirrende
Seele sich in Prinz Liu Pao festgesetzt? Ich fragte Meister Li danach, aber er
brummte nur und dachte an etwas anderes. Seine Gedanken kreisten um den
geheimnisvollen Stein des Lachenden Prinzen. Er saß in der Bibliothek des
Klosters und durchsuchte die alten Aufzeichnungen nach Hinweisen auf einen
ungewöhnlichen Stein. Er bat den Prinzen, die Unterlagen der Familie

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