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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Schuß suchten. Es ging nur darum, eine königliche
Geisel zu nehmen, ehe die Mädchen mich erschossen, und Shih Hu erwartete mich.
Es gelang ihm sogar, seine königliche Würde zu wahren, während er wie ein
Buddha auf der Erde saß. Er hielt den Dolch in der Hand und lächelte. Meister
Li preßte den rechten Arm seitlich an den Körper, ich hörte das scharfe
Schnappen in seinem Ärmel, die Rattanspirale schleuderte das Wurfmesser aus der
Scheide in seine Hand, und es summte wie eine Wespe an meinem Ohr vorbei. Der
König fluchte, als sich die Klinge in seine Hand bohrte, und sein Dolch auf die
Erde fiel. Im nächsten Augenblick lag mein Arm um seinen Hals, und ich drückte
ihm seinen Dolch in den Nacken.
    Die Goldenen Mädchen
knurrten wie Panther und umringten mich in bewundernswerter Disziplin mit ihren
Pferden. Der König beachtete mich nicht mehr als eine lästige Stechmücke. Eher
beiläufig zog er Meister Lis Messer aus seiner Hand und warf es von sich. Dann
befreite er sich mit einer einzigen Bewegung seines mächtigen Arms von mir, und
ich flog in hohem Bogen durch die Luft. Er würdigte mich nicht einmal eines
Blickes. Die Bogensehnen spannten sich, und die Pfeile richteten sich auf mein
Herz. »Halt«, sagte der König, und unter dem ruhigen Ton hörte man das Grollen
der Autorität. Er stand mühsam auf, ging schwerfällig ein paar Schritte und
kniete sich neben Mondkind, der Klagende Morgendämmerung in den Armen hielt.
Ein Pfeilschaft ragte aus ihrer Brust.
    Der goldene Schaft wies
direkt auf ihr Herz, und mit einem lähmenden Schock begriff ich, daß Klagende
Morgendämmerung tot war.
    »Wie ist das möglich? Wer
konnte so etwas tun? Keines meiner Mädchen schießt unbesonnen .« Er hob den großen Kopf. Die Goldenen Mädchen senkten den Blick. Nur eine nicht:
die Anführerin. In ihren Adleraugen lag Trotz, aber es war, als versuche sie,
die Sonne mit ihrem Blick zu bezwingen. Sie schlug die Augen nieder, und ihre
Lippen zitterten. Eine Träne rollte über ihre Wange.
    »Meng Chang, hast du so
sehr gelitten ?« fragte der König sanft. »Du hättest zu
uns kommen sollen, mein Kind. Eifersucht ist etwas Schreckliches. Sie macht aus
Nadelstichen große klaffende Wunden. Es bestand kein Grund zur Eifersucht. Wir
haben Klagende Morgendämmerung geliebt, aber das bedeutete nicht, daß wir dich
weniger geliebt hätten .« Meister Li kniete neben
Klagende Morgendämmerung. Erstaunt hob er den Kopf. »Ich kann es nicht glauben,
aber sie atmet noch«, sagte er.
    Mein Herz hüpfte wie eine
Regenbogenforelle.
    »Wenn sie das übersteht,
wird sie leben, bis der Berg Yun-t'ai
    auf sie fällt«, murmelte
Meister Li.
    Seine Hand näherte sich dem
Pfeilschaft, als wolle er ihn herausziehen. »Nein«, sagte der König scharf. Er
sah mich zum ersten Mal an, und erst jetzt wurde mir bewußt, daß in den Muskeln
meines linken Oberschenkels ein Pfeil steckte. Die Spitze ragte in die Luft.
Sie war breit und gezackt. Eine solche Pfeilspitze aus der Wunde zu ziehen
bedeutet, den Getroffenen zu töten.
    Ich brach die Spitze ab,
zog den Schaft heraus und ließ ihn fallen. Dann lief ich zu Klagende
Morgendämmerung und brach das gefiederte Ende des Pfeils ab, das aus ihrer
Brust ragte. Ich hielt den Atem an, während Meister Li langsam den Schaft nach
unten drückte. Meine Hand lag unter ihrem Rücken. Schließlich spürte ich die
Spitze unter der Haut. Sie drang durch, und ich zog den Pfeil heraus. Klagende
Morgendämmerung atmete immer noch. Meister Li legte ihr geschickt einen Verband
an. Ich glaubte zu hören, wie Klagende Morgendämmerung leise schluchzte, aber
dann bemerkte ich, daß das Schluchzen von Meng Chang, der Anführerin der
Leibwache, kam. Klagende Morgendämmerung versuchte vergeblich, die Augen zu
öffnen. »Bist du krank, Tai-tai ?« flüsterte sie. »Soll
ich für dich singen, Tai-tai? Manchmal lassen die Schmerzen nach, wenn ich
singe .«
    Was dann geschah, machte
uns alle sprachlos und zutiefst betroffen. Wir hatten Klagende Morgendämmerung
oft singen hören, aber so wie jetzt hatte sie noch nie gesungen. Ihr Gesang
sollte die Schmerzen der alten Frau lindern, die sie aufgenommen und ihr einen
Namen gegeben hatte, und was aus ihrem Herzen und über ihre Lippen drang, war
ein Wunder.
    Ich kann es nicht
beschreiben. Ich kann nur sagen, es war wie
    Mondkinds Zaubertöne und
die wunderbaren leuchtenden Bilder von Prinz Liu Pao zusammen. Sie sang keine
Worte. Ich hörte reine Töne, die zum Himmel aufstiegen,

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