Meister Li und der Stein des Himmels
Karten benutzt sie dann ?« fragte er.
»Das Pfirsichblatt«,
antwortete Klagende Morgendämmerung benommen.
»Und woher stammen ihre
Würfel ?«
»Aus der Chuanchugasse.«
»Und was kaufst du bei
Yao-chih ?«
»Schminke und Salben.«
»Und wo findest du seltene
Kräuter ?«
»Bei Fenglai.«
»Was bekommt deine Herrin
von Chingsan ?« »Schreibpinsel.«
»Natürlich«, sagte Meister
Li. »Und wie heißt der Mann noch, der ihr die Tusche mischt ?« »Ach, Li Tinghuei.«
»Und diese hübsche
Kurtisane, die rosa Papier für sie macht?«
»Shieh Tao. Ja, sie ist
hübsch«, sagte Klagende Morgendämmerung.
Das Fieber stieg wieder.
Sie warf sich unruhig im Bett herum, während Mondkind und der Prinz versuchten,
sie zu beruhigen.
»Schneller... Schneller...
Wo ist der Gang? ... Beeil dich! Noch mehr Soldaten ... Schneller...
Schneller... Beeil dich, Liebes .. .! Da, die Ibisstatue ...«
Meister Li ging zum Tisch,
setzte sich, zog den Weinschlauch hervor und trank ohne abzusetzen.
»Rosa Papier von Shieh
Tao«, brummte er, als er schließlich Luft holte. »Bemalte Fächer von der
Kohlenbrücke und Hüte von Kang Nummer Acht in der Straße der Abgegriffenen
Münze. Li Tinghuei mischt ihr die Tusche. Mondkind, kann Klagende
Morgendämmerung lesen ?« »Ungefähr so gut wie ich, und
das ist nicht besonders gut«, erwiderte er offen. »Nummer Zehn der Ochse liest
zehnmal besser als wir beide zusammen .«
Meister Li hob den Schlauch
wieder an den Mund. Als er Luft holte, murmelte er: »Ich weiß nicht einmal
mehr, wovon ich rede. Sie müßte die Weiße Schnellschrift lesen können .« Er sprang auf und sagte zu Prinz Liu Pao: »Hoheit, das
verfluchte Fieber wird sie umbringen, wenn wir sie nicht davon befreien. Ich
kenne nur ein Mittel, mit dem es zu schaffen ist, und dazu braucht man die
Samenkerne des Bombay-Stechapfels. Mondkind, Ochse und ich werden einen solchen
Baum suchen und dabei möglicherweise umkommen .« Mondkind sah mich an und dann Meister Li. »Was sollen wir einpacken ?« fragte er.
16.
Wir hatten einen
Zwischenaufenthalt, ehe wir Meister Lis Ziel erreichten. Wir besuchten die
Einhornhalle, ein recht trauriger Kommentar zu irdischem Ruhm. Die stolzen
Würdenträger der Han-Dynastie hatten ihre Porträts malen lassen, die dort bis
in alle Ewigkeit verehrt werden sollten, und heute ist die Einhornhalle eine
Ruine. Überall wächst Unkraut. Seit über hundert Jahren hat niemand mehr das
Dach repariert, und es regnet durch. Die Leute haben die Türen und den
Holzfußboden weggeschleppt, und die Bilder hängen nur deshalb noch dort, weil
niemand Verwendung für sie hat.
Das Porträt des Kaisers
Wu-ti war unbeschädigt, und selbst ein schmeichelnder Maler konnte nicht
darüber hinwegtäuschen, daß der Kaiser eher wie ein Stier aussah. Das Porträt
des Lachenden Prinzen ähnelte dem im Schloß; es hatte dieselben seltsam blicklosen
Augen. Meister Li interessierte sich jedoch nicht für den Prinzen. Er war
gekommen, um einen Blick auf Tou Wan, die Gemahlin des Prinzen, zu werfen.
»Einer meiner Freunde - er ist mindestens seit sechzig Jahren tot -, hat mir
einmal etwas Interessantes über Tou Wan erzählt«, sagte Meister Li. »Er sagte,
sie sei vielleicht die einzige Aristokratin gewesen, die je eine Haarnadel mit
einer Spitze aus einem einfachen Stein trug, wie arme Bauersfrauen sie
benutzen, und dabei war sie sonst in jeder Hinsicht eine Verschwenderin von
klassischem Format.« Die junge Dame auf dem Bild war sehr schön, obwohl ich
nicht sagen konnte, was der Wahrheit entsprach und was Schmeichelei war. Eine
einzige lange Nadel hielt ihre Haare zusammen, und die Spitze war gerade noch
sichtbar. Meister Li betrachtete sie so genau, daß seine Nase beinahe das Bild
berührte.
»Das hat er gemeint«,
murmelte er, »die Spitze ist tatsächlich aus Stein, und der Maler hätte nicht
gewagt, eine sarkastische Anspielung zu machen .«
Er drehte sich um und ging
den Weg zurück. »Erinnert ihr euch an die Worte von Ssu-ma Chien? Der zweite
Axtschlag löste einen kleinen Splitter vom Stein des Lachenden Prinzen, und ein
kleiner Steinsplitter schmückt die Haarnadel der Gemahlin des Lachenden
Prinzen. Ich darf nicht vergessen, sie danach zu fragen .«
Wir starrten ihn verwundert
an, aber er sagte nichts mehr. Wenn es um Klagende Morgendämmerung ging, war
Mondkind ganz bei der Sache. Er verschwand nicht ein einziges Mal, um nach
hübschen Knaben zu suchen, und wir kamen schnell vorwärts. Nach ein paar
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