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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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nieste. Wir bewegten uns sehr vorsichtig. Der erste Gang war durch einen
Felsrutsch völlig versperrt, der zweite ebenfalls. Der dritte Gang war so
gefährlich, daß kein vernünftiger Mensch gewagt hätte, ihn zu betreten. Es kam
uns wie ein Wunder vor, daß die Decke nicht schon längst eingestürzt war. Auch
im vierten Gang versperrten uns Felsbrocken den Weg, und so ging es weiter.
Wohin die Gänge auch führten, von hier aus gelangte man nicht hin. Wenn wir
eine Höhle erforschen wollten, die möglicherweise zum Grab des Lachenden
Prinzen gehörte, mußten wir einen anderen Zugang finden. Es war eine
schreckliche Enttäuschung. Nach der sechsten Sackgasse fing Meister Li an zu
fluchen, und er fluchte immer noch pausenlos, als wir bedrückt die Strickleiter
nach oben kletterten und blinzelnd im Sonnenlicht standen. Wir stiegen hinunter
in die Schlucht. Plötzlich blieb Mondkind stehen und hob die Hand. Er hatte
unglaublich gute Ohren.
    »Pferde«, sagte er, »viele
Pferde, das Geräusch von Rädern und das Klirren von Waffen. Sie kommen auf uns
zu, und wenn es die Munteren Mönche sind, wird es ernst .« Wir hatten kein Versteck und keine Zeit, es zu erreichen. Galoppierende Pferde
und ein riesiger Streitwagen donnerten durch die Schlucht auf uns zu. Die
geheimnisvollen Munteren Mönche wären uns sehr viel lieber gewesen als die
finster blickenden Menschen, die wir fassungslos anstarrten. König Shih Hu von
Chao zügelte seine Pferde, betrachtete uns von seinem großen Streitwagen, und
seine Goldenen Mädchen leckten sich die hübschen Lippen.
    »Wir bedauern, daß uns das
Licht Eurer Weisheit nicht erleuchten wird, Li Kao«, sagte der König leise. »Es
würde sich lohnen, einem Mann zuzuhören, der mühelos besondere Menschen aus
unserem Schloß wegzaubern kann. Aber auf unserem Streitwagen ist nur Platz für
Mondkind und Klagende Morgendämmerung .«
    Ich dachte: Er wird uns
umbringen. Für ihn sind wir gewöhnliche Diebe, die etwas Wertvolles aus seiner
Schatzkammer gestohlen haben, und er wird uns auf der Stelle umbringen. Ich
beschloß, auf die Knie zu fallen, um unterwürfig ein paar Kotaus zu machen -
und zwar schnell.
    »Majestät beanspruchen doch
sicher nicht das Besitzrecht an Menschen«, begann Meister Li im Ton eines Herrn
von Welt, der das Gespräch auf ein interessantes Thema lenken möchte. »Mondkind
und Klagende Morgendämmerung sind nicht einmal Eure Untertanen. Vielleicht
möchten sie die Entscheidung über ihren Wohnort selbst treffen .« Ich lag auf den Knien und schlug das Kinn gegen die
Bambusstange. Das andere Ende rutschte langsam auf einen Rechen zu, den ich mit
den Werkzeugen mitgebracht hatte. Noch zwei Fuß, dachte ich und versuchte es
mit sechs weiteren Kotaus.
    »Neo-Konfuzianer würden
natürlich anführen, Klagende Morgendämmerung und Mondkind seien bäuerlicher
Herkunft und besäßen deshalb keinerlei Rechte«, erklärte
    Meister Li sachlich.
»Majestät sind viel zu intelligent, um in irgendeinem Punkt neo zu sein
und viel zu gerecht, um willkürlich Schicksale zu bestimmen, ohne zuerst die
Wünsche der Betroffenen zu hören .«
    »Li Kao, die Fähigkeit
eines Herrschers, willkürlich zu handeln, entscheidet darüber, wie lange er
sich auf dem Thron hält«, erwiderte Shih Hu.
    Ein schwaches und seltsam
trauriges Lächeln umspielte seine Lippen. Seine Augen wanderten zu den Goldenen
Mädchen, die Pfeile auf die Bogensehnen legten. Ich schlug mit dem Kinn ein
letztes Mal auf die Bambusstange. Sie rutschte vorwärts und glitt in die für
den Stiel des Rechens bestimmte Öffnung. Der Rechen lag direkt vor den Hufen
des Leitpferds. Ich packte die Stange, warf mich nach vorne, der Rechen
schnellte nach oben und traf den zarten Bauch eines Pferdes, das stieg,
wieherte und ausschlug. Dasselbe wiederholte sich beim nächsten Pferd. Die stampfenden,
sich aufbäumenden Pferde waren in der Schußlinie der Goldenen Mädchen. Ich
spürte Meister Lis Hand an meinem Gürtel, sprang vorwärts und kroch zwischen
den schlagenden Hufen unter den Streitwagen. Meister Li ließ los, und ich
stemmte mich mit Schultern und Beinen dagegen. Mein Rückgrat knackte
fürchterlich, während ich versuchte, den Streitwagen umzuwerfen. Der massige
Körper des Königs half mir dabei. Der Wagen fiel krachend auf die Seite, die
Pferde stürzten und schlugen mit den Hufen wild in die Luft, und ich kroch
zwischen ihren Leibern hindurch, während die Goldenen Mädchen eine günstige
Stellung für einen sicheren

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