Meister und Margarita
Tänzer beim Kamarinski. Ein Kunststücke zeigender Salamander, gegen das Feuer des Kamins gefeit. Und wieder – und wieder – keine Kraft mehr.
– Nur noch der allerletzte Auftritt –, flüsterte Korowjew besorgt, – und wir sind erlöst.
Und erneut landete sie, mit Korowjew an ihrer Seite, in dem Saal. Doch hier wurde nicht weitergetanzt. Vielmehr drängelten sich die Besucher – ein ganz und gar unüberschaubarer Schwarm – zwischen den Säulen – wobei die Mitte des Raumes offen blieb. Wie kam dort auf einmal dieses Podest hin! Und wer half Margarita, hinaufzugelangen? Und jetzt – da sie es bestiegen hatte – erklangen – von anderswo – einfach unfassbar – zwölf Glockenschläge. Mitternacht! – war sie nicht längst verstrichen? Mit dem letzten Schlag legte sich Schweigen über die Scharen der Gäste.
Wieder Woland. In Begleitung von Abadonna, Azazello und einigen anderen jungen schwarzen Abadonnaähnlichen. Und da – ein weiteres Podest für ihn – direkt gegenüber – freilich ohne Verwendung. Besonders erstaunlich: Wolands Bekleidung bei diesem letzten bedeutenden Auftritt. Dieselbe wie vorhin im Schlafgemach. Dasselbe Nachthemd – schmutzig, geflickt – schlapp von den Schultern herabhängend. Dieselben abgelaufenen Hauspantoffeln. Ein gezückter Degen – doch nicht als Waffe, sondern als stützender Gehstock gedacht.
Humpelnd näherte sich Woland seinem Podest und blieb stehen. Azazello erschien sogleich vor ihm mit einem Zinnteller in den Händen. Darauf ein abgeschnittener Menschenkopf. Die vorderen Zähne ausgeschlagen. Die Grabesstille hielt immer noch an und wurde nur ein einziges Mal gestört: Unpassend zum feierlichen Moment klingelte es irgendwo in der Ferne. Fast wie an einer Wohnungstür.
– Michail Alexandrowitsch –, wandte sich Woland leise an den Kopf. Und Margarita erbebte: Die Lider des Toten gingen auf und in dem verstorbenen Gesicht zeigten sich lebende, intelligente und von Leid erfüllte Augen. – Alles hat sich genauso zugetragen, nicht wahr? –, redete Woland weiter, während er diese Augen fixierte. – Eine Frau hat Ihnen den Kopf abgeschnitten. Die Besprechung ist ausgefallen. Ich aber logiere in Ihrer Wohnung. So lauten die Fakten. Und Fakten sind die hartnäckigsten Dinge auf der Welt. Im Moment jedoch beschäftigen uns nicht so sehr die Fakten, die als solche ja bereits feststehen, sondern vielmehr die Frage: Was nun? Sie verfochten erbittert die Theorie, dass mit dem Abschneiden des Kopfes das Leben im Menschen aufhört, er selbst zu Asche wird und in den Zustand des Nichtseins übergeht. Es ist mir eine Freude, in Anwesenheit meiner Gäste (die als Beweis für eine ganz andere Theorie gelten dürfen) Ihnen mitzuteilen, dass ich Ihre Theorie für durchaus solide und scharfsinnig halte. Doch in dieser Hinsicht ist ja eine Theorie ebenso gut wie jede andere. Eine davon besagt zum Beispiel: Jedem geschieht gemäß seines Glaubens. Nun denn, möge es so sein! Sie gehen in den Zustand des Nichtseins über, ich indes werde mich glücklich schätzen, aus dem Kelch, in welchen Sie verwandelt werden, zu trinken: Auf den Zustand des Seins!
Woland hob seinen Degen. Schon wurde, was den Kopf überzog, dunkler und schrumpelte zusammen. Die Augen verschwanden und vor Margarita erschien auf dem Teller – an einem goldenen Fuß – ein gelblicher, mit smaragdenen Pupillenund perlmuttenen Zähnen bestückter Schädel. Sein Deckel – an einem Scharnier – sprang auf.
– Nur einen Augenblick, Messire –, beantwortete Korowjew den fragenden Blick Wolands, – gleich steht er vor Ihnen. In dieser Totenstille nehme ich wahr, wie seine Lackschuhe knirschen, wie das Sektglas klirrt, welches er soeben auf dem Tisch abgestellt hat, nach dem letzten Schluck Champagner, der ihm in seinem Erdenleben vergönnt wird. Doch da ist er schon!
Herein kam und schritt auf Woland zu ein neuer und einsamer Besucher. Er unterschied sich kaum von den vielen anderen männlichen Gästen, bis auf einen Punkt – dass er von Erregung förmlich bebte. Die Besorgnis stand ihm auf der Stirn geschrieben: Die Wangen glühten, die Augen hasteten. Er war – verständlicherweise – sprachlos: über diese gesamte Umgebung, vor allem aber über Wolands Aufputz.
Dennoch wurde er mit betontem Wohlwollen empfangen.
– Ah, unser allseits geliebter Baron Maigel! –, begrüßte Woland mit freundlichem Lächeln den Angekommenen, dem die Augen aus dem Kopf quollen. – Es ist mir ein Vergnügen
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