Meister und Margarita
besonders verlockend: Sich auf die Lampen und all diese ausgetüftelten Apparate stürzen. Sie kurz und klein schlagen. Dadurch seinen Protest zum Ausdruck bringen. Schließlich hält man ihn grundlos fest. Doch der heutige Iwan unterschied sich deutlich vom gestrigen Iwan. Darum schien auch der ersteWeg bedenklich: Die meinen noch, er sei wirklich verrückt und außerdem tobsüchtig. Deshalb verwarf er den ersten Weg. Der zweite war: Ohne Aufschub vom Sachverständigen und Pilatus berichten. Der gestrige Tag aber hat bewiesen, dass seine Schilderung nicht geglaubt, zumindest irgendwie falsch verstanden wird. So verwarf Iwan auch den zweiten Weg und entschied sich, den dritten zu wählen: den Weg des erhabenen Schweigens.
Ganz ließ sich der Plan jedoch nicht realisieren. Wohl oder übel musste Iwan, wenn auch wortkarg und mürrisch, etliche Fragen beantworten. Einfach alles forschten sie aus, das gesamte vergangene Leben. Sogar ob und wann er an Scharlach erkrankt war (nämlich vor ungefähr fünfzehn Jahren). Sie hatten ein Blatt nun vollgeschrieben, drehten es um, und die Frau in Weiß durchforstete seine Verwandtschaftsverhältnisse. Immer dasselbe: Wer ist gestorben? Wann und warum? Hat einer getrunken? Litt einer an Geschlechtskrankheiten? Und Ähnliches mehr. Zum Abschluss baten sie ihn, die gestrigen Ereignisse am Patriarchenteich zu schildern, bestanden darauf aber nicht zu sehr. Die Erwähnung des Pontius Pilatus ließ sie recht unbeeindruckt.
Die Frau übergab Iwan dem Mann, der ihn ganz anders anpackte. Der stellte nunmehr keine weiteren Fragen, maß ihm das Fieber, fühlte den Puls, kontrollierte beide Pupillen, wobei er mit einer Lampe hineinleuchtete. Dem Mann kam die andere Frau zu Hilfe. Nun wurde Iwan in den Rücken gepiekst (doch es tat nicht weh). Mit dem Griff eines Hammers zeichnete man auf der Brusthaut irgendwelche Figuren. Klopfte ihm dann die Kniescheiben ab (was Iwans Beine aufhüpfen ließ). Entnahm dem Zeigefinger Blut, stach in die Armbeuge, legte komische Gummiringe ums Handgelenk …
Innerlich konnte er über all das nur traurig lachen. Wie seltsam und dumm war doch die Sache gelaufen. Einfach unglaublich! Da will er die Welt vor der großen Bedrohung warnen, die von dem fremden Sachverständigen ausgeht, versucht ihn zufangen! Stattdessen landet er in diesem mysteriösen Untersuchungssaal, um lauter Blödsinn von sich zu geben – über den lieben Onkel Fjodor, wie der sich in Wologda besoff. Tja, mehr als dumm!
Endlich ließ man von Iwan ab. Er wurde zurück auf sein Zimmer gebracht. Erhielt dort Kaffee, zwei weich gekochte Eier und Butterbrote.
Nachdem er das alles aufgegessen und ausgetrunken hatte, beschloss er, koste es, was es wolle, auf einen zu warten, der hier Chef ist, und bei diesem Chef Beachtung und Gerechtigkeit zu erzwingen.
Und ein solcher kam, und sogar sehr bald, unmittelbar nach dem Frühstück. Denn plötzlich öffnete sich die Tür und in Iwans Zimmer traten eine Menge Menschen in weißen Kitteln herein. Ihnen voran stolzierte ein sorgsam auf Schauspielerart rasierter Mann von ungefähr fünfundvierzig Jahren. Mit angenehmem, vielleicht ein wenig zu bohrendem Blick und guten Manieren. Das ganze Gefolge überhäufte ihn mit Respekts- und Aufmerksamkeitsbekundungen, was seinem Auftritt viel Würde verlieh. »Genau wie Pontius Pilatus!«, schoss es Iwan durch den Kopf.
Ja, offensichtlich war es der Chef. Er nahm Platz auf dem Hocker, die anderen aber blieben stehen.
– Doktor Strawinski –, stellte sich nun der Sitzende vor und schaute Iwan dabei wohlwollend an.
– Hier, Alexander Nikolajewitsch –, sprach leise einer mit gepflegtem Bart und reichte dem Chef das von allen Seiten beschriebene Blatt über Iwan.
»Ein ganzes Dossier zusammengedichtet!«, dachte Iwan, während der Chef mit Kennermiene den Text überflog, »aha, aha …« vor sich hin murmelte und mit den anderen in einer nur wenig bekannten Sprache parlierte.
»Spricht auch Latein, genau wie Pilatus …«, kam es dem betrübten Iwan in den Sinn. Da ließ ihn ein einzelnes Wort erbeben: Es war das Wort »Schizophrenie«, das leider Gottes erstgestern Abend am Patriarchenteich vom vermaledeiten Fremden gebraucht worden war und jetzt vom Professor Strawinski wiederholt wurde.
»Mensch, sogar das hat der richtig gewusst!«, dachte Iwan voller Sorge.
Der Chef freute sich ausnahmslos und war mit allem einverstanden, was die anderen ihm erzählten. Er sagte immer nur: »Fein! Na, fein!
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