Meister und Margarita
dem Fenster. Immer wieder entfachten in der Luft Fäden, der Himmel zerplatzte, und das Krankenzimmer wurde regelrecht überflutet von flackerndem, furchteinflößendem Licht.
Iwan saß auf dem Bett, sah den dunkel brodelnden, sprudelnden Strom und weinte leise. Bei jedem Donnerschlag wimmerte er und barg das Gesicht in den Händen. Die von ihm bekritzelten Blätter lagen am Boden zerstreut. (Vor dem Gewitter hatte sie ein jäh ins Zimmer gedrungener Windstoß heillos durcheinandergewirbelt.)
Alle Versuche des Dichters, den Vorfall mit dem schrecklichen Sachverständigen zu Protokoll zu bringen, hatten sich verlaufen. Kaum war ihm von der rundlichen Arztgehilfin (sie hieß übrigens Praskowja Fjodorowna) Papier und ein Bleistiftstummel gegeben worden, rieb er sich geschäftig die Hände und rückte eilig ans Tischchen heran. Der Anfang gelang ihm mit einiger Verve:
»An die Miliz. Iwan Nikolajewitsch Besdomny, Mitglied der Massolit. Zeugenaussage. Gestern Abend ging ich mit dem verstorbenen M. A. Berlioz zum Patriarchenteich …«
Da kam der Dichter aus dem Konzept. Vor allem wegen dieses »verstorbenen«. Völliger Nonsens gleich zu Beginn: Aha! Er ging also mit dem Verstorbenen! Seit wann können denn Verstorbene gehen? – Schon wird man für verrückt erklärt.
So etwa dachte Iwan Nikolajewitsch und machte sich daran, den Text zu überarbeiten. Nun stand da: »… mit M. A. Berlioz, der später verstarb …« Aber auch diese Version konnte den Autor nicht zufriedenstellen. Es musste zum dritten Mal lektoriert werden, was freilich zu einer Fassung führte, die noch schlechter als die vorigen beiden klang: »… mit Berlioz, der von einer Tram überfahren wurde …« Da gelangte der Namensvetter ins Spiel, dieser Komponist, den doch eh keiner kannte. Es galt zu erläutern: »… nicht dem Komponisten …«
Bald schon hatte Iwan genug von dem Berlioz-Pärchen, strich alles durch und beschloss, mit einem Paukenschlag anzufangen, um den Leser sofort in Bann zu schlagen. Er beschrieb den Kater beim Einstieg in die Tram, sprach wieder vom abgetrennten Kopf. Der Kopf und die Prophezeiung des Sachverständigen brachten ihn gleich auf Pontius Pilatus. Um der Sache ein wenig mehr Gewicht und Glaubwürdigkeit zu verleihen, entschied sich Iwan, die Statthalter-Szene komplett zu schildern – von der Stelle an, wo dieser im weißen Gewand, blutig umbordet, die Halle des Herodes-Palastes betritt.
Iwan arbeitete äußerst fleißig, redigierte das Geschriebene, fügte Neues ein. Er unternahm sogar den Versuch, Pilatus zu zeichnen. Zuletzt – den Kater, wie er Männchen macht. Doch die Illustrationen halfen nicht viel: Mit jeder Wendung wurde die Aussage des Dichters verschlungener und bizarrer.
Als schließlich die schreckeinflößende Wolke mit den rauchenden Rändern in der Ferne erschien, den Wald überstülpte, und der Windstoß kam, fühlte Iwan sich völlig erschöpft, unfähig, mit der Aufgabe fertigzuwerden. Er ließ die umhergewirbelten Blätter liegen und weinte leise und bitterlich.
Die gutmütige Arztgehilfin Praskowja Fjodorowna besuchte den Dichter während des Sturms, machte sich Sorgen, als sie sah, dass er weinte, und schloss die Vorhänge: Die Blitze sollen den Kranken nicht stören. Dann hob sie die Blätter vom Boden auf und lief mit ihnen zum Professor.
Der kam, verpasste Iwan eine Spritze in den Arm und tröstete ihn: Alles wird gut, keine Tränen mehr, nichts bleibt wie es ist, und schon vergessen.
Er hatte recht: Der Wald hinterm Fluss nahm wieder sein einstiges Aussehen an, zeichnete sich bis zum letzten Bäumchen vor dem Himmel ab, welcher ebenfalls seine tiefe Bläue wiedererlangte. Der Strom wurde still. Die Wehmut begann, direkt nach der Spritze, von Iwan zu weichen. Jetzt lag der Dichter ganz ruhig und sah den Regenbogen über den Himmel gebreitet.
So ging es bis in den Abend hinein. Er merkte nicht einmal, wie der Regenbogen allmählich zerrann, wie der Himmel entfärbt und traurig wurde, der Wald verdunkelte.
Iwan trank warme Milch, legte sich abermals hin und staunte: Sein Sinn war auf einmal vollkommen verändert. Viel sanfter wirkte in der Erinnerung das verdammte höllische Katervieh, der abgeschnittene Kopf jagte keine Angst mehr ein – Iwan dachte nicht länger an ihn. Ihm wurde klar, dass es hier in der Klinik doch eigentlich ziemlich gemütlich ist, Strawinski ein Goldstück und hochberühmt, vor allem sehr angenehm im Umgang, die Abendluft nach dem Gewitter so
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