Meisterin der Runen
aufgeben. Ich werde mich nicht bei Seinfreda verkriechen, sondern nach Rouen zurückkehren, werde erneut versuchen, dort heimisch zu werden, werde Richard das verzeihen, was er mir antat, und meinerseits auf die Vergebung meiner Untaten hoffen.
Das kross gebratene Fleisch schmeckte ihr und den Schwestern, doch am nächsten Tag zog sich ihr Magen zusammen, und sie vermeinte auf lange Zeit keinen Bissen mehr zu sich nehmen zu können.
Als die Bäume, in deren Schatten Njall die Tiere erjagt hatte, sich lichteten, fiel ihr Blick auf die Mauern von Rouen.
Es blieb nichts von der Nacht, rein gar nichts.
Alruna hätte sich mit wenig begnügt. In der Liebe war sie keine Königin, sondern eine Bettlerin, die sich dankbar für die Brosamen zeigte, die vom Tisch fielen. Nie hatte sie übermäßig viel gefordert, kein ›Ich liebe dich‹, kein ›Du bist die Einzige‹, kein Drängen, dass sich die Nacht wiederholte. Einst hatte genügt, als er sagte, er würde keine andere Frau lieben. Jetzt hätte ihr gereicht, wenn die Erinnerungen sie lustvoll hätten erschaudern lassen, wenn Richard ihr bei den wenigen Gelegenheiten, da sie sich trafen, verschwörerisch zugelächelt hätte, wenn nicht ständig andere Konkubinen die Nacht bei ihm verbringen würden.
Doch das taten sie, zahlreicher denn je. Jeden Abend wollte er eine andere Frau sehen, niemals wieder sie, und bald war sie sich selbst nicht mehr sicher, was in jener Nacht wirklich geschehen und was nur ein Traum gewesen war. Alruna konnte sich nicht mehr daran erinnern, was sie gefühlt hatte, nicht, wie er nackt ausgesehen hatte, nicht, ob und wie lange sie in seinen Armen geschlafen hatte.
Nein, es blieb nichts von der Nacht, rein gar nichts, obwohl doch etwas bleiben musste! Zumindest redete sie sich das tagelang ein und klammerte sich an die dürftige Hoffnung, dass ihre Liebe nicht auf verdorrtem Boden verkümmerte, sondern Frucht treiben würde.
Der Vollmond kam und ging, ihre Blutung blieb aus. Ein Kind, vielleicht erwartete sie ein Kind …
Jeder Tag zählte nun, der ohne Blutung verging, jede Stunde. Alruna wagte kaum, sich zu bewegen, zu atmen, hatte stets schreckliche Angst, es zwischen den Beinen warm und feucht zu spüren.
Um sich abzulenken, webte sie stundenlang, und wenn sie den Stoff hinterher befühlte, malte sie sich aus, wie sie ihr Kind kleiden, wie es aussehen, wie sie es nennen würde. Die Entscheidung fiel rasch: Ein Knabe würde Richard heißen, es gab keinen anderen Namen für einen Sohn. Und eine Tochter Emma, um seine verstorbene Frau zu ehren.
Eine Woche verging, da Verstörtheit heißer Freude wich, Genügsamkeit Gier. Sie würde sich nicht länger damit abfinden, seine Schwester zu sein. Wenn er sie schon nicht als Geliebte betrachtete, so war sie von nun an doch Mutter seines Kindes.
Nach dieser einen Woche erwachte Alruna des Nachts mit Krämpfen. Sie wusste, was diese zu bedeuten hatten, blieb dennoch liegen, reglos wie ein Stein, denn Steine bluten nicht. Erst gegen Morgen huschte sie zum Abort. Graues Licht stahl sich unter der Decke der Nacht hervor. Es genügte, um das Blut zu sehen, und hätte sie es nicht gesehen, so ja doch gefühlt, wie es ihr über die Beine rann und mit seiner Wärme der Kälte trotzte, die sich in ihr breitmachte.
Sie setzte sich auf die Latrine, erleichterte sich, fühlte noch mehr Blut aus sich fließen und dachte verbittert: Warum muss ein so schöner Traum ausgerechnet an einem so stinkenden Ort wie diesem zerplatzen?
Alruna war mit ihrer Hoffnung allein gewesen, nun, vom Schmerz gepackt, ertrug sie die Einsamkeit nicht länger. Sie sehnte sich danach, mit jemandem zu reden.
Allerdings hatte sie ihren Eltern die Nacht verschwiegen, und das sollte auch so bleiben. Sie hatte keine Freundin, keine Gefährtin, der sie das Herz ausschütten konnte, denn andere Frauen betrachtete sie als Rivalinnen um Richards Gunst oder weit unter ihrem Stand. Arfast war in der letzten Zeit wieder freundlicher zu ihr und warf ihr dann und wann ein schüchternes Lächeln zu, aber sie wusste: Ihr Schmerz ging dieses Mal so tief, dass sie ihn nicht ausmerzen konnte, indem sie gleichen einem anderen zufügte und diesen leiden sah.
Es blieb also nur einer.
Der Stolz schrie, sie möge ihm fernbleiben und warten, bis er von sich aus Nähe suchte, das Herz stellte sich taub.
Die Zeit verging, doch eines Tages hielt sie es nicht länger aus, schritt zum Turmzimmer hoch, klopfte, öffnete die Tür. Er war da, und er war
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