Meleons magische Schokoladen
ersten Gewinn eingeheimst hatte. Abwiegen, Einfüllen und Verpacken beschäftigten sie den ganzen Vormittag über. Selten hatten sich die Kauflustigen in solcher Zahl vor der Theke gedrängt, ganz so, als habe sich die Adventsverlosung herumgesprochen.
Erschöpft gönnten sich Isabell und Niklas kurz vor dem Mittagsläuten ein Tässchen Kaffee, da sah Isabell Frau Wiecks vertraute, dickliche Gestalt auf Meleons Geschäft zuhalten.
„Oh, weh! Die beschwert sich jetzt, dass es zu wenig war. Oder sie findet irgendetwas anderes, um sich darüber zu alterieren.“
Das Glöckchen schlug an. Frau Wieck betrat forschen Schrittes den Laden. Sie schenkte Isabell ein unerwartetes Lächeln.
„Ich bin noch einmal her gekommen, um mich zu entschuldigen! Mir scheint, ich war unnötig schroff.“
„Nicht doch“, erwiderte Isabell verblüfft.
„Doch, doch“, beharrte Frau Wieck. „Wenn ich es recht bedenke, war ich allzu oft wenig freundlich zu Ihnen und dem jungen... wie heißt du, mein Kind?“
„Niklas, Madame.“
„Ah, Niklas. Mein lieber, leider längst verstorbener Onkel hieß ebenfalls Nikolaus. Ein hübscher Name. Sehr lobenswert, dass du hier schon so fleißig einem Tagewerk nachgehst. Und wie geht es Ihren Eltern, Fräulein Fechter? Ich fürchte fast, es kam zwischen mir und Ihrem Herrn Papa bei meinem letzten Besuch in seiner Praxis zu ganz unnötig harschen Worten. Bitte richten Sie ihm doch meine allerbesten Grüße aus! Wollen Sie so freundlich sein?“
Isabell nickte, zu überrascht, um ihrerseits höfliche Worte zu finden. Dann ging ihr ein Licht auf.
„Haben Sie Ihre Kiste schon geöffnet, Frau Wieck?“, fragte sie.
Mit einem beschämten Lächeln bekannte Frau Wieck, dass dem so war.
„Man kann Herrn Meleons Kreationen einfach nicht widerstehen“, sagte sie. „Und besonders das Veilchenmarzipan war eine solche Offenbarung! Als sähe man die ganze Welt mit anderen Augen!“
Isabell nickte.
„Ja, Herr Meleon ist ein wahrer Zauberer.“
Die sonst so unausstehliche Kundin verabschiedete sich freundlich und ihr Schritt schien auf einmal mehr Sprungkraft zu besitzen, so als seien ihr Jahre ihres Lebens zurückgegeben worden. Isabell sah ihr nach.
„Wahrhaft ein Zauberer“, sagte sie. „Anscheinend kann er nicht nur Menschen in Tiere und Ungeheuer verwandeln, sondern auch Ungeheuer in Menschen.“
Am Nachmittag erschrak sie furchtbar, als plötzlich etwas heftig gegen die Tür der Kammer schlug. Schnell löste sie den Haken.
Zamera stand auf allen vier Hufen und schnaufte. Sie drängte sich an Isabell vorbei, tauchte den Kopf in den Eimer mit Milch, der neben dem Tisch stand, und trank ihn leer. Dann stülpte sich das weiche weiße Maul über ein paar Igeltrüffel.
„Na! Was machst du denn?“, fragte Isabell halb belustigt, halb besorgt. „Das ist vielleicht nicht gut für dich.“
Sie bot Zamera von dem Heu an, das vor der Hintertür in einer Kiste lagerte.
Zamera drehte den Kopf weg, kehrte zum Tisch zurück und fraß in erschreckend kurzer Zeit die Ware für zwei Tage auf. Dann rülpste sie.
„Niklas“, rief Isabell. „Es geht Zamera besser!“
Niklas konnte seine Kunden nicht im Stich lassen. Er kam erst nach zehn Minuten in die Küche. Zamera stand inzwischen neben der Speisekammer. Isabell zeigte ihr, was es alles gab, und das Einhorn drehte entweder ablehnend den Kopf oder packte forsch zu.
„Schluss!“, sagte Niklas streng. „Das darfst du nicht, du dämliches Vieh! Einhörner können sich ebenso wenig erbrechen wie Pferde. Diese Fresserei wird dich umbringen, wenn du weiter machst! Und Bauchschmerzen bekommst du auf jeden Fall!“
Zamera schnaubte und entblößte ebenmäßige, weiße Zähne.
„Wie?“, fragte Niklas. „Beißen möchtest du mich? Dann pass mal hübsch auf, dass du nicht zuerst eine abbekommst!“
„Streitet nicht“, versuchte Isabell zu vermitteln. „Freu dich doch, dass sie auf einmal so viel kräftiger ist.“
Doch man beachtete sie gar nicht. Zamera reckte den Hals. Das Horn glich mehr denn je einer gezückten Waffe. Niklas packte einen Kochlöffel.
„Nun beziehst du aber gleich Prügel“, sagte er.
Zamera warf schwungvoll den Kopf zur Seite und das lange Horn fegte Niklas gegen den Herd. Er bekam sie am Ohr zu fassen und drosch ihr den Kochlöffel über die Kruppe. Isabell überwand ihre Verblüffung. Sie schob Niklas zur Seite.
„Genug!“, befahl sie. „Meleon würde ein solches Verhalten nicht dulden. Von keinem von euch
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