Meleons magische Schokoladen
und der Pastor der reformierten Kirche in nie gesehener Eintracht die Toten segneten und beifällig zu Meleons ganz und gar unchristlichen Trauerriten nickten. Meleon hob beide Hände auf Schulterhöhe, rief in seiner Sprache unbekannte Mächte an, und mitten auf dem Marktplatz, unweit des Brunnens, erschien ein wunderschön gestaltetes Mausoleum aus weißem Marmor mit Säulenzier und griechischen Knabenfiguren, die ihre Fackeln zum Boden senkten, um an die Vergänglichkeit zu erinnern.
Die Menge stöhnte ergriffen.
Meleon hielt eine kurze, aber prägnante Trauerrede, in der er die ungeheure Anmaßung des Feindes beklagte, der heimlich meuchelnd hoffte, den Kampf für sich zu entscheiden, und der doch würde scheitern müssen, weil die beherzten Einwohner der Stadt durch ihre Treue und Unbeugsamkeit dem Feind Einhalt gebieten würden.
Es gab tosenden Beifall.
„Für den König“, intonierte die Menge und niemandem schien aufzufallen, dass diese Treue und Beherztheit bisher dem deutschen Kaiser vorbehalten gewesen waren.
Die Särge wurden nacheinander ins Mausoleum getragen und die Panther zu Füßen der Toten niedergelegt. Eine unsichtbare Orgel spielte ein Requiem, das nicht wenige Einwohner der Stadt laut schluchzen ließ, die Pforten des Prunkbaus schlossen sich, und wie aus dem Nichts erschienen lange Bankett-Tische mit den erlesensten Leckerbissen rund um den Brunnen.
Am Nachmittag trat dann der Kriegsrat zusammen.
Isabell war überrascht, dass sie gebeten wurde, dort einen Platz neben Lord Rochas einzunehmen. Unbehaglich sah sie zu Prinz Florindel, der die ganze Zeit mit seinem Kaffeelöffel herumspielte und sich gelangweilt gab. Wahrscheinlich befürchtete er, jemand würde ihn auffordern, in vorderster Linie zu kämpfen. Lord Meredis hatte sich noch nicht soweit erholt, dass er an der Sitzung teilnehmen konnte und statt seiner waren Isabells Vater, der Bürgermeister und der Hauptmann der Truppen geladen. Prinz Finyon gab sich alle Mühe, staatsmännisch und kriegserfahren zu wirken, überzeugte damit aber wohl niemanden, denn schließlich wurde alles zwischen Meleon und den Honoratioren der Stadt ausgehandelt.
Der König räumte unterdessen schweigend zwei Geschenkkästlein und eine Tüte mit Pralinen leer und betrachtete dann stirnrunzelnd das Zettelchen, das ihm aus der Tüte entgegen fiel. Meleon blinzelte überrascht und sagte zu Isabell: „Seine Majestät hat soeben das Los des 23. Dezember gezogen. Wärst du so gut, ihm den Gewinn hier nach oben zu holen? Es ist die zartgelbe Schachtel links unter der Kasse.“
Isabell fand sie sofort, konnte sich aber nicht zurückhalten, den Deckel zu lüpfen und den Duft einzuatmen, der aus dem Kästchen aufstieg. Danach fühlte sie sich ruhig, fast beseelt und ihre Welt roch minutenlang nach dem allerzartesten Birnenlikör.
Der König nahm die Schachtel entgegen, rupfte den Deckel ab, starrte die Praline an und sagte: „Bei Maruk! Ihr seid nicht großzügiger geworden, Meleon. Eine einzige Praline als Preis einer Verlosung?“
„Kostbares ist nicht in Mengen zu haben“, erwiderte Meleon mit einer leichten Verneigung. „So wie es nur einen König geben kann, so enthält diese Verpackung nur eine, aber eine erlesene Schokoladenköstlichkeit.“
Der König griff zu und stopfte sich die Praline in den Mund.
Kurz darauf schossen ihm Tränen in die Augen. Isabell befürchtete schon einen erneuten Anschlag mit Gift, da begann der Herrscher von Halaîn zu lächeln.
„Wie weise von Euch, Meleon, bester aller Hofzauberer“, sagte er und die beiden Prinzen setzten sich alarmiert aufrechter.
„Was war es?“, fragte Prinz Finyon.
„Feinster Birnengeist“, sagte Meleon. „Und nun wollen wir die Details der Befestigung der Stadttore bedenken!“
Der König nickte.
„Ja, das wollen wir. Wir müssen den strebsamen und tapferen Bürgern dieses kleinen Städtchens alle Mittel zur Verteidigung an die Hand geben, nachdem sie so großherzig sind, uns in unserem gerechten Kampf beizustehen…“
Florindel verschluckte sich an seinem Kaffee und er hustete minutenlang. Finyon starrte auf die leere Pralinenschachtel.
„Hier stimmt doch was nicht“, sagte er laut.
Der König beäugte ihn missfällig.
„In der Tat. Und ich sage dir auch, was nicht stimmt! Meine Söhne sind hirnlose Verschwender, deren Erziehung ich leider viel zu lange vernachlässigt habe. Du insbesondere, Finyon, hast ein Vermögen verschleudert, mit dem man Straßen bauen und die
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