Melina und die vergessene Magie
ergriff sie so plötzlich, dass sie feuchte Augen bekam. Sie versuchte den Gedanken abzuschütteln. Wie peinlich, bei einem Schluck Cola in Tränen auszubrechen!
»Sagt mir nun, was ihr über den Tiegel wisst«, unterbrach Selyke ihre Gedanken. »Deshalb seid ihr doch hergekommen?«
»Wir haben ein Gespräch belauscht«, begann Erel, »das Morzena mit einem der Feuerzauberer geführt hat. Wir vermuten, dass sie ihre Anführerin ist …«
Selyke nickte gleichgültig. »Das wissen wir.«
»Woher?«, fragte Erel erstaunt.
»Die Xix wissen fast alles. Es gibt unzählige Wesen, die als unsere Augen und Ohren in euren Welten leben. Also weiter!«
»Morzena hat davon gesprochen«, fuhr Erel fort, »dass sie den Tiegel der Elemente stehlen wolle. Mit seiner Hilfe will sie die dunkle Zeit erneut beschwören – wenn wir sie nicht aufhalten!«
»Es besteht nicht der geringste Anlass zur Sorge, solange diese Zauberin nicht weiß, wo der Tiegel versteckt ist.«
»Ist er denn nicht hier?«, fragte Erel erstaunt.
»Nein«, schnaubte Selyke. »Was soll ich mit diesem … Kochtopf? Ich wollte mein Leben lang nichts mehr damit zu tun haben. Er befindet sich immer noch in Lamunee. König Tius sollte ihn nach dem letzten Krieg zerstören, aber seine Gier ließ das nicht zu, stattdessen hat er ihn heimlich versteckt. Allerdings hat er nie gewagt, ihn zu benutzen.« Sie lächelte böse. »Ich habe ihm eine Warnung zukommen lassen.«
Melina mischte sich ein. »Wir glauben, dass Morzena weiß, wo der Tiegel ist. Und wir wollten euch nur warnen, damit ihr die Bewachung verstärken oder den Tiegel woanders hinbringen könnt.«
»Warum sollte mich das kümmern?«, fragte Selyke mit schmalen Lippen. »Wenn ihr euch gegenseitig die Köpfe einschlagen wollt, und das immer wieder … was interessiert mich das?« Sie stand auf. »War das alles?«
Erel holte tief Luft, aber ihm fehlten die Worte. Melina sah ihn auffordernd an. Sollten sie nach all den Mühen in einer Sackgasse gelandet sein?
»Diese Hexe, die mich im Wald töten wollte …«
»Rusella«, ergänzte Selyke.
»Rusella hat gemeint, dass der Tiegel wichtig genug wäre, um mich zu euch zu lassen. Und jetzt ist er euch egal?«
Selyke seufzte. »Heiliges Eis! Solange keine Heerscharen vor unserer Haustür stehen, ist mir alles egal! Dies ist ein Rückzugsort und kein Marktplatz. Seit hundert Jahren versuchen immer wieder Glücksritter, uns zu finden. Wir wollen einfach unseren Frieden. In Lamunee geht es jedoch immer nur um Gier und Macht. Alle paar Jahrhunderte kommt wieder einer, der die anderen beherrschen will. Mit der Zeit wird das langweilig – und widerwärtig!«
»Alle paar Jahrhunderte …«, murmelte Erel. »Für uns ist das mehr als ein Leben, Selyke. Urteile nicht so hart über uns. Nicht wir wollen Krieg.«
»Das hat König Tius auch gesagt«, erwiderte Selyke scharf.
Erel nickte. »Mein Großvater hat mir erzählt, dass Tius nicht perfekt war. Aber sein Sohn Yanobis ist ein guter König. Unter ihm könnten wir in Frieden leben. Und genau das wollen die meisten von uns – genau wie ihr.«
Selyke rümpfte die Nase.
»Die Macht, die ihr mit dem Tiegel in unsere Welt gebracht habt …«, sagte Erel leiser und eindringlicher, »unterliegt die nicht eurer Verantwortung? Ihr hättet den Tiegel selbst zerstören können. Ihr wusstet, dass ihr betrogen wurdet, und habt ihn dennoch in unserer Welt gelassen. Als ewige Versuchung.«
Selyke sah ihn an, als wollte sie ihn in einen Schleimbeißer verwandeln. Dann zuckten ihre Mundwinkel.
»Vielleicht wird aus dir doch noch einmal ein Diplomat. Du kannst nach allen Regeln der Höflichkeit ein Messer ziehen und es an der Kehle ansetzen.«
»Heißt das, du willst uns helfen?«, fragte Erel erwartungsvoll.
»Nicht direkt. Aber ich werde euch unterstützen, damit ihr euch selbst helfen könnt. Ihr müsst zur Höhle des Windes. Dort wartet der Tiegel seit hundert Jahren.«
Tann starrte Selyke irritiert an und griff unbewusst an seinen Gürtel. »Ihr meint
die
Höhle des Windes? In der die Bogan ihre Äxte schleifen lassen?«
Sie nickte mit einem Seitenblick auf Tann, den sie bisher kaum beachtet hatte. »Die Bogan wissen nichts davon. Dort, wo der Wind auf sich selbst trifft, gibt es links einen Seitengang, der mit einem Tarnzauber verschlossen ist. Euer Axtmeister würde ihn nie ertasten können. Und Fremde betreten diese Höhle nicht. Ein ideales Versteck.«
»Bis jetzt«, murmelte Melina, und Selyke sah sie scharf
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