Melina und die vergessene Magie
hatte, an das Zusammenspiel von Pferd und Reiter. Dieses Gewitterpferd mochte völlig anders sein als Samara, aber gewisse Grundregeln galten noch immer: Übertrage deine innere Ruhe auf dein Pferd! Leicht gesagt, wenn man dem Sterben so nah war, beschwerte sich Melinas innere Stimme. Besänftigend strich sie über den Hals des Tieres und redete ihm gut zu. Es bewegte sich jetzt wieder gleichmäßiger, der Sturm war zu einer leichten Brise geworden, und als Melina versuchte, das Wolkenpferd zu lenken, drehte es langsam ab und schwenkte zurück zu den anderen.
Erel passte sich ihrem Tempo an und blieb dicht neben ihr.
»Du bist wirklich erstaunlich«, sagte er mit einer Stimme, die nicht nach ihm klang. Als sie sich umwandte, sah sie, dass er leichenblass war und sie mit sehr dunklen Augen taxierte.
»Du bist davongeprescht wie eine Xix auf dem Sturmwind. Ein atemberaubender Anblick! Ich dachte, ich hätte dich zum letzten Mal gesehen.«
»Ehrlich?«, lächelte Melina. In der Rolle der vorwärtsstürmenden Xix gefiel sie sich sehr gut. Dennoch …
»Warum ist
dein
Pferd so ruhig? Hast du es magisch in den Griff bekommen?«, fragte sie.
Erel verzog die Mundwinkel zu einem Grinsen. »Ich würde gern behaupten, dass ich eben ein toller Reiter bin. Aber ehrlich gesagt … Rusella hat unsere Pferde für ein paar Tage unserem Willen unterworfen. Du bist nur viel zu schnell losgeritten. Oder vielleicht wollte sie einfach mal sehen, wie du ohne sie klarkommst.«
Melina starrte Erel an. »Du meinst, sie wollte mal sehen, ob ich es überlebe?«
Er zuckte mit den Schultern. »Möglich. Vielleicht wollte sie dir im letzten Moment das Leben retten, um dir zu zeigen, dass du auf ihre Gnade angewiesen bist.« Er grinste. »Sie wird inzwischen stinksauer auf dich sein, weil du es ohne sie geschafft hast. Du wirst mit ihrem Missfallen leben müssen – und mit meiner grenzenlosen Bewunderung.«
Melina konnte ihr Strahlen nicht zurückhalten, als sie den Spiegelteich erreichten, wo Tann und Rusella auf sie warteten. Schade, dass Lisa sie nicht gesehen hatte! Eine Mutprobe auf einem Hexenpferd – das wäre der Knaller gewesen!
Rusella hob das Kinn und funkelte Melina an. »Wenn Selyke es nicht befohlen hätte, würde ich euch meine Pferde nicht einmal berühren lassen. Wenn nur eines von ihnen Schaden erleidet, verfolge ich euch bis ans Ende der Welt!«
Melina hatte begriffen, dass die Warnung insbesondere für sie bestimmt war. Sie nickte ernst und lenkte ihr Pferd auf den Spiegelteich zu. Vermutlich waren die Tiere den ungewöhnlichen Weg gewohnt, denn sie tauchten ohne zu scheuen ins Wasser ein und glitten zielstrebig dem Ufer auf der anderen Seite entgegen. Kraftvoll tauchten sie aus dem See heraus und schwangen sich mit kräftigem Rückenwind in den wolkenverhangenen Himmel.
Tann und Salius
Die Dunkelheit war über die Ebene gekommen, und Erel und Tann hatten inzwischen ein Lagerfeuer entfacht. In Gedanken versunken führte Melina die Pferde zum Fluss. Als sie beim Anblick des Wassers freudig die Köpfe zurückwarfen, erwartete Melina ein Wiehern zu hören, doch aus den Kehlen ertönte das Heulen des Windes, und eine kräftige Bö peitschte über die Oberfläche des Flusses.
»Erel hat uns Stockbrot und Grasfische gezaubert«, strahlte Tann, als Melina zurückkehrte. Tatsächlich lag ein verführerischer Duft in der Nachtluft. An langen Holzstäben, die schräg in den Boden gesteckt waren, brutzelte etwas über dem Feuer.
»Stockbrot gibt es in meiner Welt auch. Von
Grasfischen
habe ich allerdings noch nie gehört«, murmelte Melina.
»Sie stammen aus meiner Heimat«, sagte Erel. »Ihren Namen haben sie, weil sie sich gern zwischen tanzenden Algen verstecken. Schwer zu fangen, aber sehr schmackhaft.«
Eine Weile schwiegen alle drei, während sie ins Feuer starrten und darauf warteten, dass ihr Essen gar wurde.
»Ich wüsste gern mehr über deine Welt«, sagte Erel leise.
Melina überlegte, was sie erzählen konnte. Sie sprach von ihren Eltern, von ihrem Umzug in die neue Stadt – wobei sie erst erklären musste, was eine richtige Stadt war – und von ihrer Schule. Sogar von Lisa und dem Keller.
»So ein gemeines Mädchen«, sagte er verärgert. »Konntest du nicht Magie gegen sie anwenden? Deine Art von Magie?«
Sie verzog die Mundwinkel. »Ich habe keine Magie. Das habe ich dir doch schon gesagt.«
Erel runzelte die Stirn. »Du hast die Chulus und die Spionvögel verwandelt. Und du hast Tann und mir im
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