Melli - einmal blinzeln und von vorn
Omas esoterischer Ader entschuldigt, Melli hatte nie verstanden, was genau das heiÃen sollte. Jedenfalls hing es mit einer Ecke in ihrer Buchhandlung zusammen, die Melli und ihre Cousinen sorgfältig mieden. Nur Titel mit furchtbar gewichtigen und komplizierten Namen standen da in den Regalen. Diese Ecke war der Ãberrest einer Vergangenheit, die irgendetwas mit Indien, Pams Vater und ihrer Geburt, Reisen um die halbe Welt und einer Mischung aus Schweigen und spannender, uralter Geschichten war. Oma Doro erzählte manchmal von einem Ort namens Poona, an dem orange gekleidete Menschen ihren Traum von grenzenloser Freiheit gelebt hatten. Vor Mellis Augen waren prompt grenzenlos lange Fernsehtage und grenzenlos gefüllte SüÃigkeitsschüsseln erschienen. Inzwischen wusste sie, dass es sich eher um endlose Meditations- und Tanzveranstaltungen gehandelt haben musste, so wie sie das aus dem Ferienclub kannte, in dem sie einmal gewesen war. Was daran wiederum so interessant war, konnte sie sich beim besten Willen nicht erklären.
Als Kira mit einer Flasche und drei Sektgläsern zurückkam, stand Oma Doro schon mit Häkelcape und Patchwork-Tasche bereit, um sich zu verabschieden.
»Kira, ich danke dir. Du hast dir eine Menge Arbeit aufgehalst, wirklich.« Sie küssten sich auf die Wange. Die drei Mädchen standen schon bereit, um sich ebenfalls ihre Küsschen abzuholen. »Melli, deine Mutter muss selbst über ihre Gefühle entscheiden. Du kannst nicht in ihr Leben eingreifen, selbst wenn du ein wichtiger Teil davon bist. Sie wird den richtigen Weg finden, keine Sorge.«
Als Melli ein widerwilliges »Hmpf« entfuhr, richtete sich Doro ein wenig auf, was ihren Kopf in gefährliche Nähe des Türrahmens brachte.
»Was das andere betrifft, den Jungen meine ich, wirst du beizeiten erkennen, worin der Sinn liegt. Normalerweise bedeutet ein Mensch, den man sozusagen geschenkt bekommt, etwas Gutes. Eine Bereicherung. Davor steht gelegentlich ein lehrreicher Schock, in etwa wie beim Impfen. Und dann dieses ⦠nun, wir reden darüber noch.« Sie räusperte sich bedeutungsvoll und wandte sich zum Gehen. Oma Doro liebte es, solche komplizierten Andeutungen zu machen. Kryptisch nannte ihre Mutter das dann und verdrehte jedes Mal die Augen, bis man nur noch das WeiÃe sehen konnte. Manchmal hörte sich Oma Doro auch an, als hätte sie das Wochenhoroskop einer Mädchen-Zeitschrift auswendig gelernt. Vielleicht war sie auch heimlich die Verfasserin von chinesischen Glückskeksbotschaften. Zuzutrauen wäre es ihr, denn Weissagungen waren ihr Hobby und normalerweise kicherten Melli und ihre Cousinen darüber, wenn ihre GroÃmutter ihnen aufregende Herzensangelegenheiten voraussagte. Nur heute war Melli überhaupt nicht nach Kichern. Sie war sich nun hundertprozentig sicher, dass Oma Doro irgendetwas über ihr Eiszeitproblem wusste. Die Frage war nur, wann sie damit rausrückte. Nervös kaute Melli an ihrer Unterlippe und versuchte, den Sinn hinter Omas Worten zu verstehen, als sie Doro hinterherblickte, wie sie quer über den Hof zu ihrem Wagen ging.
Kapitel 4
O bwohl der alte Stall, der für Melli und ihre Mutter umgebaut worden war, von Pias und Loras Haus nur durch einen gepflasterten Hof und ein paar Beete getrennt war, übernachtete Melli in den nächsten Wochen bei ihren Cousinen. So hatte es der Familienrat beschlossen. Zwar würde sie ihr kleines Häuschen, das nur aus einer groÃzügigen Küche und einem winzigen Wohnzimmer mit Kamin â unten â und zwei ebenso winzigen Schlafzimmern mit einem Puppenstubenbad â oben â bestand, spätestens nach drei Tagen vermissen, so viel war sicher, aber drei Wochen nonstop mit ihren Freundinnen zu verbringen, war einfach zu verlockend gewesen. Ihre Tante und ihr Onkel verfügten über das groÃe Haupthaus der ehemaligen Hofreite und damit auch über ein Gästezimmer, doch Melli wollte natürlich bei Pia und Lora schlafen.
Da jeder Zwilling sein eigenes Zimmer besaÃ, hatten die drei Cousinen beschlossen, dass sie alle zusammen die ersten eineinhalb Wochen gemeinsam bei Pia schlafen und die zweite Hälfte der Zeit bei Lora einziehen würden. Schon vor Tagen hatten sie angefangen, die Zimmer umzuräumen, damit drei Mädchen mit ihren umfangreichen Klamotten, Toilettenartikeln und Lieblingskissen Platz finden würden. Pias Zimmer lag unter dem
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