Melli - einmal blinzeln und von vorn
auf ihre Tochter, die glückselig in ihrer Umarmung verschwand. Sie schloss die Augen, um diesen Moment ganz allein mit ihrer Mutter haben zu können, denn wenn sie auch nur etwas blinzelte, konnte sie Adrians Schatten erkennen, der sich mit dem Taxifahrer und den Koffern abmühte. Den wollte sie überhaupt nicht sehen. Konnte der nicht einfach wieder einsteigen und weiterfahren und ihre Mam hier zurücklassen? Das wäre das schönste Mitbringsel gewesen, das sich Melli vorstellen konnte. Das Adrian-Wegbleibsel sozusagen. Doch dann, als sie sich lachend aus der Umarmung gelöst hatte â schlieÃlich brauchte auch eine Melli Luft zum Atmen â, zog Pam Adrian mit einem so seligen und strahlenden Ausdruck herbei, dass sofort eine ganze Horde Gewissensbisse über Melli herfiel und sich in ihr festkrallte. Wie hatte sie nur eine Sekunde daran denken können, Pams Glück zu zerstören? Ihre Mutter würde nie wieder so strahlen, wenn Adrian verschwinden würde, das wurde Melli mit einem Schlag klar. Sie musste â zumindest in nächster Zeit â Adrian als lästiges, aber vorhandenes Ãbel annehmen. Ihr eigenes Strahlen trübte sich bei dem Gedanken, doch als sie den nagelneuen Koffer erkannte, den Adrian eben auf den Bürgersteig wuchtete, entschied sie sich doch für die Rolle der braven Stieftochter.
»Hallo, Adrian«, sagte sie kurz und reichte ihm wohlerzogen die Hand, die Adrian kräftig und herzlich drückte. Dann konnte sie sich nicht mehr zurückhalten und brach über ihre Mutter herein.
»Ist er das? Der Ãberraschungskoffer? Wo soll er hin? Darf ich ihn gleich zu uns rübernehmen?«
»Lora, Pia, ihr Lieben!«, leider war Pam noch mit der BegrüÃung beschäftigt und meinte erst nach einer halben Ewigkeit zu den drei Mädchen: »Ihr bleibt da mal schön weg. Ich lass mir doch nicht meine Ãberraschung verderben! Gehen wir erst einmal zu uns rein, ja?«
Mit fröhlichem Drängeln und Plaudern quetschte sich die Gesellschaft in das Häuschen. Es war ganz offensichtlich zu klein. Viel zu klein â auch wenn es sich für Melli allein ganz hervorragend eignen würde, das stand auÃer Diskussion. Koffer, Menschen, Pias und Loras BegrüÃungskuchen und Tassen türmten sich in der gemütlichen Wohnküche. Während Pam ihnen von einem Hotel vorschwärmte, in dem sie gewohnt hatten, bemerkte Melli tiefe Ringe unter den Augen ihrer Mutter, die ihr vorhin gar nicht aufgefallen waren. Jetlag. Melli konnte gut nachfühlen, wie es ihrer Mutter ging. Immerhin litt sie auch seit Tagen an Dauermüdigkeit, die mit ihrem sehr besonderen Zeitproblem zu tun hatte. Reisekrank durch Zeitenchaos, ein ganz neues Krankheitsbild.
Das Türklingeln lieà sie aufschrecken. Oma Doro. Na endlich. Seit ihrem kurzen Telefonat vor ein paar Tagen hatte sich keine Gelegenheit mehr ergeben, mit ihr persönlich zu sprechen. Aber auch heute standen die Chancen dafür ziemlich schlecht â man musste sich ja nur umschauen.
»Doro, hast du etwa den Laden dichtgemacht?«, rief Pam und raffte sich zu einer kurzen Umarmung auf, bevor sie wieder an Adrians Seite zusammensackte.
»Natürlich. Ich wollte sehen, was deine Aura macht«, erklärte Oma Doro und nickte Adrian gnädig zu. »Wunderbar, Kind, du siehst zwar schrecklich aus, aber deine Aura hat keinen Schaden genommen. Keine Trübung, keine Flecken, klar und strahlend.« Hmpf, Oma Doro immer mit ihrem Esoterik-Kram. Es war eines ihrer unendlich vielen Hobbys, jeden ihrer Lieben mit einer Analyse seines Lichtes zu beglücken, das angeblich jeden Menschen umgab und von dem sie behauptete, es sehen zu können. AuÃer ihr konnte das natürlich niemand, also konnte auch niemand mit ihr streiten, ob es solch ein Licht gab oder nicht. Auch Melli hatte einen zehnseitigen Ausdruck über ihre Aurafarbe bekommen, den sie allerdings nie gelesen hatte.
In dem anschlieÃenden wilden Durcheinander fiel es zuerst gar nicht auf, dass Pam an der Schulter ihres Mannes kurzerhand eingenickt war, bevor der Kaffee auf dem Tisch stand. Jetzt trug Adrian seine Frau ins Schlafzimmer und Melli und der Rest der Familie verdrückten sich in Kiras Haus, damit sich die Ankömmlinge erst einmal richtig erholen konnten. So ist das also, dachte Melli. Zu Hause ist kein Platz für mich. Ich kann ja nicht ewig in meinem Mini-Zimmer hocken, wenn zufällig
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