Melmoth der Wanderer
weiterschritten, ertönte plötzlich von irgendwo ein Aufschrei. Stanton hielt inne, die schrecklichsten Bilder jener Gefahren vor Augen, welchen der Reisende auf dem Kontinent in verlassenen und entlegenen Wohnstätten ausgesetzt ist. Aber die Alte leuchtete ihm mit ihrer elenden Funzel ins Gesicht und sagte: »Achtet nicht darauf, es ist bloß er ...«
Die Greisin, durch Augenschein nun genugsam davon überzeugt, daß ihr englischer Gast, und sollte er auch der Leibhaftige in Person sein, weder Hörner noch Pferdehuf oder Teufelsschwanz hatte, daß er ein Kreuz über sich schlagen konnte, ohne die Gestalt dabei wechseln zu müssen, und daß, sobald er redete, kein Schwefeldampf seinem Mund entquoll, begann nun etwas Zutrauen zu fassen und hub an, ihre Geschichte zu erzählen, welche Stanton, ermüdet und unbehaglich wie er sich fühlte, ...
* * *
Jedes Hindernis war nun beseitigt. Sowohl die Eltern als auch die Anverwandten hatten zuletzt allen Widerstand aufgegeben, und so wurde denn das junge Paar miteinander vermählt. Die Hochzeit wurde mit dem gebührenden Prunk gefeiert, und einige Tage danach fand das Festmahl in jenem getäfelten Gemach statt, welches Ihr geruht habt, als so düster zu bezeichnen. In jener Nacht aber war es reich mit Bild-Teppichen behängt, auf denen die Heldentaten des Cid verherrlicht waren, namentlich jene eine, da er mehrere Mauren dem Flammentode überantwortet, die sich geweigert hatten, ihrem verfluchten Irrglauben abzuschwören. Die Qual, darin sie sich heulend wanden, war aufs wundervollste wiedergegeben, und die Worte »Mahomet! Mahomet!« entquollen auf einem Spruchband ihren Mäulern, wie sie diesen Abgott anriefen, während die Flammen schon an den Leibern zehrten. Am hinteren Ende des Gemaches, unter einer prächtigen Estrade, von welcher das Bild Unserer Allerheiligsten Jungfrau herabhing, saßen Donna Isabella de Cardoza, die Brautmutter, und ihr zunächst Donna Ines, die Braut, auf reichen Almohadas. Der Bräutigam saß der Braut gegenüber, und obwohl die beiden kein Wort miteinander wechselten, verrieten doch ihre langsam aufgeschlagenen, indes nur um so rascher wieder gesenkten Blicke (von jener Art, welche erröten machen) deutlich genug das süße Geheimnis ihres Glücks.
Don Pedro de Cardoza hatte zu Ehren der Hochzeit seiner Tochter eine große Gesellschaft um seine Tafel versammelt. Unter den Anwesenden befand sich auch ein reisender Engländer, Melmoth mit Namen, von dem keiner wußte, welcher Gast ihn nun eigentlich mitgebracht hatte. Wie alle anderen saß er schweigend da, dieweil das eisgekühlte Wasser und die gesüßten Oblaten aufgetragen wurden. Denn die Nacht war erstickend heiß, und der Mond erglühte gleich einer anderen Sonne über den Trümmern von Sagunt. Die reich bestickten Vorhänge schlugen schwer gegen die Wände, als hätte der Nachtwind sich vergeblich gemüht, sie zu heben, und schließlich von seinem Vorhaben abgelassen. (Hier gab es neuerlich Kalamitäten mit dem Manuskript, doch war ihnen alsbald abgeholfen.)
Die Gesellschaft hatte sich in den verschiedenen Gängen des Gartens verloren. Auch Bräutigam und Braut lustwandelten auf einem der Pfade, dessen köstlicher Orangenduft sich mit jenem der blühenden Myrthe vermischte. Nach ihrer Rückkunft in den Speisesaal fragten die beiden, ob denn niemand aus der Gesellschaft jene exquisiten Klänge vernommen, welche den Garten durchfluteten, kurz bevor man denselben verlassen und sich ins Haus begeben? Aber niemand hatte dergleichen gehört, worüber die beiden ihre Überraschung bekundeten. Was den Engländer anging, so hatte dieser den Raum überhaupt nicht verlassen, doch hieß es, er habe, als über jene Klänge gesprochen worden sei, ein Lächeln von ganz eigenem, besonderem Ausdruck gezeigt. Seine Schweigsamkeit war ja schon vordem aufgefallen, doch hatte man dieselbe seiner Unkenntnis der spanischen Sprache zugeschrieben, welchen Mangel die Spanier weder bloßstellen noch beheben mögen, weshalb sie erst gar kein Gespräch mit einem Fremden anknüpfen. Nun, man ließ die Sache mit jener Musik auf sich beruhen, bis die Gäste sich zum Abendessen um die Tafel versammelt hatten, und Donna Ines mit ihrem Gemahl ein Lächeln voll entzückter Überraschung tauschte, wonach die beiden beteuerten, eben jetzt wieder von jenen herrlichen Klängen umflutet zu sein. Alle Anwesenden verstummten, um zu lauschen, doch konnte keiner etwas vernehmen.
Obwohl die Ursache so allgemeiner Verwunderung
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