Melmoth der Wanderer
noch nicht abgeklungen, ward die Stille doch alsbald unterbrochen, und zwar durch das Erscheinen von Pater Olavida, dem Beichtiger der Donna Isabella, welcher, kurz bevor das Gelage seinen Anfang genommen, zu einem Sterbenden in der Nachbarschaft gerufen worden war, ihm die Letzte Ölung zu spenden. Als ein Seelenhirte, dem ein überaus heiliges Leben nachgerühmt wurde, stand er bei der ganzen Familie in liebevollem Ansehen und genoß auch in der Nachbarschaft allen schuldigen Respekt, dieweil er dort einen ungewöhnlichen Spürsinn und ebensolche Tüchtigkeit in den Dingen der Teufelsaustreibung an den Tag gelegt hatte. Dergleichen war in der Tat des guten Paters starke Seite, und so bildete er sich denn auch nicht wenig darauf ein. Dem Teufel konnte gar nichts Schlimmeres widerfahren, als dem Pater Olavida in die Hände zu geraten: war der Besessene halsstarrig genug, um dem Heiligen Kirchenlatein, ja sogar den griechisch gesprochenen Ersten Versen des Heiligen Johannes-Evangeliums zu widerstehen, zu welchem der gute Pater stets nur in den Notfällen von ganz extremer Widerborstigkeit und Beschwernis seine Zuflucht genommen – (hier gedachte Stanton der englischen Geschichte mit dem Knaben von Bilson und wurde sogar noch in Spanien schamrot wegen der Torheit seiner Landsleute), dann griff er unweigerlich zu den probaten Mitteln der Heiligen Inquisition. Und wie obstinat auch immer die Teufel sich gebärdet haben mochten: sobald man die von ihnen Besessenen erst an den Brandpfahl gebunden hatte, konnte man die Bösen Geister durch den Mund und inmitten der hervorgestoßenen (unzweifelhaft blasphemischen) Schreie herausfahren sehen. Manche von ihnen hielten ja aus, bis die reinigenden Flammen sie umloderten, doch mußte selbst der allerwiderborstigste Gesell sein Quartier aus Fleisch und Bein aufgeben, sobald die Prozedur vollbracht war, denn nicht einmal der Leibhaftige selbst vermag in solch einem knusprig-klebrigen Aschenklumpen sein Domizil aufzuschlagen. Auf solche Weise ward des Paters Olavida Ruhm weit und breit in aller Munde umhergetragen, und die Familie Cardoza hatte die größten Anstrengungen unternommen, diesen hochheiligen Mann als ihren Beichtiger zu gewinnen, was ihr zum großen Glück auch gelungen war.
Der traurige Akt, den er soeben vollzogen, hatte einen Schatten auf unsres Paters Antlitz zurückgelassen, welcher jedoch bald verflog, nachdem der Neugekommene sich unter die Gäste gemischt hatte und ihnen vorgestellt worden war. Rasch hatte man für ihn einen Platz frei gemacht, wobei der Pater aus purem Zufall dem Engländer gegenüber zu sitzen kam. Sobald ihm der Wein vorgesetzt war, begann Pater Olavida ein kleines Tischgebet vor sich hin zu murmeln. Doch alsbald zögerte er, begann zu zittern und stand schließlich von seinem Vorhaben ab. Er stellte das Weinglas auf den Tisch zurück und trocknete sich mit dem Kuttenärmel den Schweiß von der Stirn. Donna Isabella gab dem Diener einen Wink, wonach dem Pater Wein von der besseren Sorte gereicht wurde. Jener bewegte die Lippen, als kostete es ihn eine Anstrengung, seinen Segen über das Getränk und die Tischgesellschaft zu sprechen – allein, die Anstrengung blieb vergeblich. Der Wandel jedoch, welcher mit seiner Miene vorging, war ein so außergewöhnlicher, daß er keinem der Gäste verborgen bleiben konnte. Der Pater hatte das Gefühl, sein sonderbares Gehaben errege allgemeines Aufsehen, und wollte dem begegnen, indem er neuerlich versuchte, das Glas an die Lippen zu heben. Dabei war die Besorgnis, mit welcher die Tischgesellschaft ihn beobachtete, so groß, daß der einzige in dem geräumigen und überfüllten Speisesaal hörbare Laut das Rascheln von des Paters Kutte war, welcher erneut sein Glas an den Mund zu heben versuchte – und wieder vergeblich. Alles verharrte in schweigender Bestürzung. Einzig Pater Olavida stand. Und in diesem Moment erhob sich auch der Fremde aus England, allem Anschein nach fest entschlossen, seinen hypnotischen Blick mit jenem des Paters zu messen.
Olavida wankte, begann zu taumeln, klammerte sich an den Arm eines jungen Bedienten, schloß für einen Moment die Augen, wie um dem fürchterlichen Zwang jenes unirdischen, durch und durch gehenden Blickes zu entfliehen (die Augen des Engländers waren schon bei dessen Eintritt sämtlichen Gästen aufgefallen und schienen, so sagte man allgemein, einen übernatürlichen, furchterregenden Glanz auszustrahlen), und rief schließlich aus: »Wer ist da unter
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