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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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speien, aber all die Matrosen umkommen lassen?« Melmoth dachte, es handele sich hier um ein Stoßgebet und wollte sich schon zurückziehen, wurde aber durch den Spanier an seinem Vorhaben gehindert. »Senor, wenn ich recht gehört habe, so ist Euer Name ...« Er hielt inne, sichtbarlich erschauernd, und stieß dann unter einem Zucken den Namen Melmoth hervor.
    »Melmoth – das ist mein Name.«
    »Ist’s möglich, daß Ihr einen Ahnherrn hattet, einen sehr entfernten, welcher einstmals – mag sein vor aller Überlieferung der Familie – nein, es ist sinnlos, noch in Euch zu dringen«, so sprach der Spanier, schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte gräßlich auf.
    Melmoth hörte mit Erregung und Entsetzen zu. »Wenn Sie fortfahren wollen, Senor, vielleicht ist eine Antwort möglich.«
    »Nun wohl«, begann der Spanier und zwang sich jedes Wort gewaltsam ab. »Wißt Ihr von einem Anverwandten, von dem die Rede geht, er sei vor etwa hundertvierzig Jahren in Spanien gewesen?«
    »Ich glaube – ja, ich fürchte, dies trifft zu.«
    »Genug für heute, Senor – laßt mich jetzt allein, vielleicht sehen wir uns morgen wieder – doch jetzt, ich bitte Euch, laßt mich allein.«
    »Davon kann nicht die Rede sein – in diesem Zustand«, sagte Melmoth und fing den Taumelnden noch vor dem Sturz auf. Bewußtlos war der Fremde nicht, das sah man an den Augen, die, von Angst geweitet, nach einem Halt suchten. Auch mühte sich der Fremde, etwas auszusprechen. Die beiden waren ganz allein im Zimmer. Melmoth, nicht fähig, jenen loszulassen, rief laut nach Wasser. Und bei dem Versuch, den Rock ihm aufzuknöpfen, damit der Kranke freier atmen könne, geriet des Helfers Hand an ein Bildnis, welches der Fremde überm Herzen trug. Schon die Berührung scheuchte den Patienten aus seiner Übelkeit, als hätt’ am stärksten Riechsalz er gerochen. Und seine kalte Hand fuhr nach dem Bilde mit einer Kraft, die’s mit dem Tode aufnimmt, dieweil er zugleich hohl und schrill hervorstieß: »Was tut Ihr da?« Und hastig griff er nach der Kette, zufrieden, sein so schreckliches Geheimnis noch bei sich vorzufinden. Dann warf er einen grausig-ruhigen Blick auf Melmoth, wobei er nur das eine sagte: »Nun wohl. So wißt Ihr alles?«
    »Ich weiß so gut wie nichts«, gab Melmoth vor. Der Spanier richtete sich wieder auf, befreite sich aus seines Helfers Armen, schritt hastig, wenn auch taumelnd, auf die Kerze zu (denn es war Nacht) und hielt das kleine Bildnis Melmoth vors Gesicht. Es war ein Miniaturporträt des fürchterlichen Ahnherrn, von roher Hand nur ungelenk entworfen, doch so naturgetreu, daß der Beschauer an Geisterhände hätte denken mögen.
    »War dieser da – das Urbild dieses Bildes – war dieser Euer Ahnherr? Seid Ihr sein Erbe? Bewahrt Ihr nun in Eurem Herzen das schreckliche Geheimnis, welches ...« Und wieder sank der Spanier zu Boden, und Melmoth, kraftlos wie er war, ertrug die starke Konvulsion nicht länger und ward hinaus und in sein Bett geschafft.
    Er sah den Fremden erst nach Tagen wieder. Der schien nun ruhig und gefaßt, doch hielt er es für nötig, in Anbetracht der Aufgewühltheit jener Nacht den Gastgeber um Nachsicht zu ersuchen. Er setzte an – er zögerte – verstummte. Er versuchte sich zu sammeln, doch vergebens. Die Mühe brachte sein Gemüt so sehr in Wallung, daß unser Melmoth sich bemüßigt fühlte, beizeiten deren Folgen zu begegnen, indem er, wenn auch ungeschickt, versuchte, den Spanier nach dem Zweck der Reise auszufragen.
    Erst nach langem Zögern bequemte dieser sich zu einer Antwort: »Der Zweck der weiten Reise, teurer Senor, ist so beschaffen, daß ich noch vor Tagen nimmermehr geglaubt, mir würd’ ein Sterblicher ihn je entlocken. Er schien mir so unsagbar wie unglaublich. Ich fühlte mich allein auf dieser Welt, ganz ohne Mitgefühl und ohne Ausweg. Wie sonderbar, daß jener Schiffbruch mich auf den wohl einzigen Menschen stoßen ließ, von dem ich beides nun erwarten darf, ja nicht nur dies, auch die Entwirrung dessen, was mich in solche Wirrnis erst gebracht.« Die mit viel Fassung vorgetragenen Worte verfehlten ihre Wirkung nicht auf Melmoth. Er setzte sich zurecht, um zuzuhören, indes der Spanier zu sprechen anhub. Doch kaum begonnen, hielt er alsbald inne, riß sich das Bild vom Hals, warf es zu Boden und schrie mit jener Unbeherrschtheit, die nur dem Kontinentbewohner eigen ist, indem er es mit Füßen trat: »Oh, Satan, Satan – hast du mich gewürgt!« Und da das Bild

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