Melodie der Liebe
Diskussion über die Unterschiede zwischen kirchlicher und weltlicher Musik im Barock.
Zweimal rief er Natasha auf und bat um ihre Meinung.
Er ist ganz schön gerissen, dachte sie. Nicht das geringste Mienenspiel, keine noch so kleine Änderung im Tonfall ließ etwas von ihrer persönlicheren Beziehung erahnen. Niemand in der Klasse würde auf den Gedanken kommen, dass dieser selbstsichere, ja brillante Dozent sie stürmisch geküsst hatte, und das gleich dreimal. Jetzt sprach er ruhig über die Entwicklung der Oper im frühen siebzehnten Jahrhundert.
In dem schwarzen Rollkragenpullover und dem grauen Tweed-Jackett sah er wie immer lässig-elegant aus. Und natürlich hingen die Studenten auch diesmal gebannt an seinen Lippen. Als er über eine Bemerkung aus der Klasse lächelte, hörte Natasha, wie zwei Reihen hinter ihr die kleine Blonde aufseufzte.
Vermutlich war sie nicht die Einzige, die ihn bedingungslos anhimmelte. Ein Mann, der so aussah, so redete, so küsste, war überaus begehrt. Er war der Typ, der um Mitternacht einer Frau Versprechungen machte und sich beim Frühstück im Bett an eine andere schmiegte.
War es nicht ein Glück, dass sie nicht mehr an Versprechungen glaubte?
Spence fragte sich die ganze Zeit, was wohl in Natasha vorging. Seit Wochen versuchte er nach dem Unterricht mit ihr zu reden, aber sie war jedes Mal vorher hinausgeschossen. Heute Abend würde er sich etwas einfallen lassen müssen.
Kaum war die Stunde beendet, da stand sie auch schon. Spence sah, wie sie dem Mann, der ihr gegenübersaß, zulächelte. Dann bückte sie sich und sammelte die Bücher und Bleistifte auf, die der Student beim hastigen Aufstehen auf dem Boden verstreut hatte.
Wie hieß er doch noch gleich? Maynard. Genau. Mr. Maynard war in mehreren seiner Kurse und schaffte es, in keinem davon sonderlich aufzufallen. Aber im Moment hockte der farblose Mr. Maynard Knie an Knie mit Natasha auf der Erde.
„So, jetzt haben wir sie alle.“ Natasha gab Terrys Brille einen freundschaftlichen Stups.
„Danke.“
„Vergiss deinen Schal ni…“, begann sie und sah auf, als sich eine Hand auf ihren Arm legte und ihr aufhalf. „Danke, Dr. Kimball.“
„Ich möchte mit Ihnen sprechen, Natasha.“
„Möchten Sie das?“ Sie sah kurz auf seine Hand hinab und raffte ihren Mantel und die Bücher zusammen. Sie kam sich wieder vor wie auf einem Schachbrett und beschloss, seinen Zug miteinem Gegenangriff zu erwidern. „Tut mir Leid, das wird warten müssen. Ich habe eine Verabredung.“
„Eine Verabredung?“ Sofort stellte sich bei ihm das Bild eines dunkelhaarigen, athletischen Draufgängers ein.
„Ja. Entschuldigen Sie mich.“ Sie schüttelte seine Hand ab und steckte den Arm in die Ärmel ihres Mantels. Da die beiden Männer links und rechts gleichermaßen gelähmt schienen, nahm sie die Bücher in die andere Hand und suchte hinter dem Rücken nach dem zweiten Ärmel. „Können wir, Terry?“
„Äh, ja, sicher, ja.“ Er starrte Spence ehrfurchtsvoll und fast ein wenig ängstlich an. „Aber ich warte gern, wenn du erst noch mit Dr. Kimball reden willst.“
„Nicht nötig.“ Sie ergriff seinen Arm und zog ihn zur Tür.
Frauen, dachte Spence. Nie werde ich sie verstehen.
„Mensch, Tash, meinst du nicht, du hättest abwarten sollen, was Dr. Kimball von dir will?“ fragte Terry auf dem Weg zur Bar, die neben dem College lag.
„Ich weiß, was er wollte.“ Als Terry fast gestolpert wäre, ging ihr auf, dass sie ihn noch immer hinter sich herzog. „Und ich bin nicht in der Stimmung, darüber zu reden.“ Sie verlangsamte ihrTempo. „Außerdem wollten wir doch einen Kaffee zusammen trinken.“
Die Bar war nur halb voll. Auf den Plastiktischen standen leere Gläser. An der alten Theke murmelten zwei Männer in ihre Bierkrüge. In der Ecke ignorierte ein Pärchen seine Drinks. Die Frau saß schon fast auf dem Schoß des Mannes.
Natasha mochte diesen schummrigen Raum mit den alten Schwarz-Weiß-Postern von James Dean und Marilyn Monroe. Es roch nach Zigaretten und Wein aus der Karaffe. Auf dem Regal hinter der Theke stand ein großes Kofferradio, aus dem ein Chuck-Berry-Oldie so laut plärrte, dass es den Mangel an Gästen vergessen ließ.
„Nur Kaffee, Joe“, rief sie dem Mann hinter der Theke zu und setzte sich. „Also, Terry“, sagte sie, „wie geht’s dir so?“
„Ganz gut“, erwiderte Terry. Er konnte es kaum fassen, dass er hier mit ihr saß.
Offenbar würde sie ihm jedes Wort aus der Nase
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