Melodie der Sehnsucht (German Edition)
aufzusuchen.
Erleichtert verzog sich der Ritter. Er würde jetzt ausruhen und dann wieder an ihre Seite eilen.
Sabine schlief tief und traumlos bis in den späten Nachmittag hinein. Dann erwachte sie mit denkbar schlechtem Gewissen. Wie hatte sie Florimond vergessen können? Allerdings hatte die Herzogin auch nicht nach ihr gerufen. Lediglich Madeleine hatte zwischendurch eine Zofe geschickt, aber die hatte Fleurette abgewiesen. Sabine brauchte den Schlaf, es hatte keinen Sinn, wenn sie auch noch krank wurde. Insofern war sie jetzt auch ausgeruht und sehr gefasst, als sie endlich an Florimonds Lager trat. Der junge Ritter glühte vor Fieber, er hatte den ganzen Tag in wirren, zum Teil albtraumhaften Phantasien dahingedämmert. Manchmal schrie und stöhnte er im Traum, und diesmal beruhigte ihn auch Sabines Anwesenheit erst, als sie längere Zeit auf ihn eingeredet und seine Stirn gestreichelt hatte.
Dann endlich schien er sie zu erkennen und schlug sogar kurz die Augen auf. Sie waren glasig und blutunterlaufen. Das Gold darin hatte seinen Glanz verloren.
»Heute Nacht ...« sagte Sabine verzweifelt. »Heute Nacht wird es sich entscheiden – aber ich soll wieder an der Bahre dieses verwünschten François knien und Trauer heucheln.«
»Aber morgen ist das immerhin vorbei«, bemerkte die Herzogin in möglichst aufmunterndem Ton. »Euer Gatte will im Morgengrauen mit dem Leichnam aufbrechen. Solange haltet Ihr es aus.«
Sabine blitzte sie an. »Es ist nicht die Frage, ob ich es aushalte«, meinte sie mit einem Blick auf ihren Geliebten. »Die Frage ist, ob Florimond dann noch lebt.«
Trotz der vorwurfsvollen Blicke der Herzogin blieb Sabine noch eine kurze Zeit am Bett ihres Liebsten. Sie half Madeleine, die Verbände abzunehmen, erneuerte die Bandagen und kühlenden Wickel und flößte dem Kranken Teeaufgüsse und mit Kräuteressenzen versetzten Wein ein, um das Fieber zu senken. Sie wusste nicht, ob Florimond wirklich begriff, dass sie bei ihm war, aber Madeleine versicherte ihr, er sei viel ruhiger als sonst, und ein oder zweimal meinte sie auch zu vernehmen, dass seine trockenen, aufgesprungenen Lippen ihren Namen flüsterten.
Als Sabine sich endlich zwang, sich von ihm zu trennen, standen ihr Tränen in den Augen. Inzwischen war ihr gleichgültig, wer hier zuschaute. Sie küsste seine Hände, seine Stirn und seine Lippen zum Abschied. Wenn sie wirklich die ganze Nacht in der Kapelle verbrachte, würde sie ihn vielleicht nicht lebendig wiedersehen.
Während sie jetzt schon ungeduldig und voller Ärger auf ihren Gatten, seinen sie noch im Tode quälenden Sohn und die seltsamen Bräuche der Kirchentreuen die Stiegen hinunterlief, dachte sie weiter über Machtspiele nach. War dies die Rache ihres Gatten? Bestand wirklich die Herzogin darauf, dass sie hier um ihrer Ehre Willen Wache am Totenbett ihres Feindes hielt, oder geschah es auf Jules’ Wunsch? Wusste er, dass Florimond im Sterben lag und verwehrte ihr bewusst bei ihm zu sein?
Oder spielte sie nach wie vor die Dame auf dem Schachbrett der Herzogin? Wollte Catherine wissen, ob ihre Liebe stärker war oder ihr Gehorsam? Dieser Einfall kam Sabine erst, nachdem sie schon einige Totenmessen in einer Stimmung zwischen Wut und Verzweiflung verbracht hatte. Zum Beten kam sie heute nicht, sie war zu aufgeregt. Aber dies war ein lohnender Gedanke! Was würde Catherine tun, wenn Sabine ihre Totenwache einfach aufgab und an Florimonds Seite eilte? Was konnte sie tun? Das Argument, Sabine behielte hier den Kaplan im Auge, um seine Predigten gemäßigt zu halten, galt längst nichts mehr. Die nächtlichen Andachten hielt ein Hilfsprediger, der genauso gelangweilt wirkte wie seine wenigen Zuhörer. Außer zwei oder drei häufig wechselnder Ritter bestand die Gemeinde nur aus Sabine und ihrem Gatten, sowie etlichen Nonnen – die für ihre Nachtwache und ihre Gebete bezahlt wurden und denen die Versuchung Evas herzlich gleichgültig zu sein schien. Der Hilfskaplan predigte auch gar nicht. Er reihte nur so schnell wie möglich eine Messe an die andere; er wurde nach Anzahl entlohnt, nicht nach Inbrunst. Catherine konnte Sabine also keinen Verrat am Minnehof vorwerfen, wenn sie weglief. Und Jules ... der war ab morgen erst mal fort, ganz abgesehen davon, dass er schon den ganzen Tag so verzweifelt, entrückt – und vollständig übernächtigt – an der Bahre seines Sohnes betete, dass er Sabines Kommen und Gehen womöglich kaum bemerkte.
Sabines nervöse Finger
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