Melodie der Sehnsucht (German Edition)
nicht zu nahe zu kommen, zwang sich zu essen, obwohl sie keinerlei Appetit hatte und schaffte es mit fast übermenschlicher Anstrengung, ihm während seines Vortrags nicht in die Augen zu sehen. Auch Florimond hielt sich zurück und pries in seinen Liedern eher die Strenge und Anmut der Herrin Genevra im Umgang mit dem ewig werbenden Lancelot, denn dunkle Schönheiten, nach denen sich der Dichter verzehrte. Eben diese Anknüpfungen an die Artus-Scharade brachte Barbe de Richemonde jedoch auf eine Idee. Sie flüsterte mit der Herzogin, die daraufhin lächelnd um Ruhe bat.
»Wir müssen noch die Sieger des heutigen Tages ehren«, erklärte sie eifrig. »Ja, freilich, es fand kein Wettspiel statt. Aber bei unserer Darstellung der Artus-Sage hatten wir doch Mitspieler, die uns allen besondere Freude bereitet haben. Für ihre Fantasie und Leidenschaft gebührt ihnen Ehre. Also kommt zu uns, ›Sir Lancelot‹ und ›Vivianne, die Jungfrau vom See‹.«
Sabine errötete, aber alle anderen schienen begeistert von der Idee der Ehrung. Die junge Frau betrat mit gesenktem Kopf etwas verschämt das Podium, Florimond reichte ihr galant die Hand, um ihr hinaufzuhelfen. Sabine bemühte sich, den Funken zu ignorieren, den seine Berührung zu schlagen schien, sie glühte, ihr Herz raste – aber niemand durfte es sehen.
»Kommt, Ritter Lancelot, nehmt Euren Lohn von den Lippen Genevras entgegen«, lächelte die Herzogin. Florimond kniete vor ihr nieder, und sie drückte einen zarten Kuss auf seiner Stirn.
»Und Ihr, Lady Vivianne – vielleicht wird Euch dieser Mondstein Freude bereiten.«
Sabines Haarschmuck vom Nachmittag musste die Herzogin zur Auswahl ihres abendlichen Schmucks inspiriert haben. Jedenfalls trug sie eine schwere Goldkette mit einem großen, in Gold und Diamanten gefassten Mondstein um den Hals. Jetzt löste sie die Kette und hing sie Sabine um.
Sabine errötete noch tiefer. »Madame ... ein solches Geschenk ...«
»Angemessen der Freude, die Ihr uns gemacht habt, Sabine. Dazu kleidet das Schmuckstück Euch vorzüglich. Also keine Widerrede!«
Sabine bedankte sich schüchtern für das kleine Vermögen, das sie da um den Hals trug. Sie war froh, als Florimond sie wieder auf ihren Platz geleitete.
»Wir sehen uns später«, raunte er ihr zu. »Es gibt eine Pforte, die vom Küchengarten aus zum Burggraben führt. Erwarte mich dort!«
Aufgewühlt nippte Sabine an ihrem Wein – und hoffte, dass ihre Umgebung ihr vor Aufregung glühendes Gesicht auf die Ehrung durch die Herzogin zurückführen würde.
Eine Küchenpforte ... Sabine kannte sie nicht, aber solche unauffälligen Einschnitte in der Burgmauer gab es praktisch in jeder befestigten Anlage. Die Köche und Mägde konnten dadurch kommen und gehen, kleinere Mengen an Vorräten hinein- und die Abfälle hinausbringen, ohne jedes Mal die Haupttore zu benutzen, die oft weit von den Wirtschaftstrakten entfernt waren. Geplant waren solche Eingänge natürlich nicht, die Baumeister der Anlagen und erst recht ihre Verteidiger wünschten sich die Mauern intakt. Aber die Bediensteten schlugen sich ihre Pforten – und mauerten sie im Belagerungsfall ebenso unspektakulär wieder zu.
Um die Burg des Herzogs zog sich jedoch ein befestigter, immer Wasser führender Graben. Florimond konnte nicht vorhaben, Sabine aus der Feste zu entführen.
Vorerst hieß es ohnehin abzuwarten. Dabei streichelte seine Stimme sie erneut, brachte ihr Blut in Wallung und weckte ihr Verlangen. Nicht immer gelang es ihr, den Schein von Desinteresse zu wahren – oft genug ertappte sie sich bei einem seligen Lächeln oder dabei, in schönen Träumen schwelgend, die Frage einer Hofdame zu überhören.
Aber dann hatte der Abend doch ein Ende. Die Herzogin erklärte, müde zu sein und erwählte einige Damen, sie in ihre Gemächer zu begleiten und ihr beim Auskleiden und Frisieren einen letzten Pokal Wein zu kredenzen. Barbe de Richemonde war darunter, Sabine nicht. Die junge Frau dankte im Stillen Florimonds Lieblingsgöttin Fortuna. So rasch sie konnte, trennte sie sich von den anderen Damen und tastete sich von ihrer Kemenate aus durch unbeleuchtete Wehrgänge zum Abstieg zu den Küchenhöfen. Um diese Zeit war da kein Mensch, und sehr einladend wirkten die Wirtschaftsgebäude auch nicht. Aber der Küchengarten lockte mit Gerüchen nach Thymian und Rosmarin. Sabine brauchte nur ihrer Nase zu folgen und stand dann zwischen wohl gepflegten Beeten und Sträuchern, die Gemüse und Früchte
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