Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
fühlen kann und keine Soldaten geschickt werden, um mich abzuholen. Ist sie nicht freundlich oder erhalte ich gar keine, dann muß ich mir überlegen, ob ich nicht mit Emilia fliehen und ein Versteck aufsuchen soll, wo mich niemand findet.
Ich habe meinem Mann von Dorotheas Geburt berichtet – »Dein süßes Kind« – und ihn gefragt, welche weiteren Namen er ihr gern geben möchte. Ich habe behauptet, sie hätte dunkle Haare. Ich habe ihm geschrieben, sie schreie wie »eine liebe Taube« und werde ihm immer ähnlicher.
Unter all diese Lügen habe ich die Bitte gemischt, mir etwas Geld für Dorotheas Betreuung zu schicken (vielleicht hilft mir das ja, eine Vereinbarung mit König Gustav zu treffen?) sowie, worum ich früher schon einmal gebeten hatte, meine beiden Sklaven Samuel und Emmanuel.
Meine einzige Hoffnung, bei Verstand zu bleiben, liegt nun darin, etwas Spaß mit diesen schwarzen Knaben zu haben. Ich bin nach Dorotheas Geburt noch immer schrecklich fett und finde das widerwärtig, und die Pfunde weigern sich hartnäckig, mich zu verlassen, sondern sitzen fest auf meiner Taille und meinem Bauch, so daß mein ganzes, einst schönes Fleisch nun langsam in Falten zur Erde fällt. Doch was das angeht, denke ich, daß es Sklaven nicht zusteht, Kritik am Körper ihrer Herrin zu üben oder so etwas wie Herabhängen überhaupt zu bemerken. Sie müssen tun, was ich von ihnen verlange, und damit hat sich’s. Ich hätte etwas Vergnügen mit ihnen, und vielleicht geht ja dann alles ein bißchen besser.
Für den Fall, daß doch nicht alles bessergeht und ich des Verrats angeklagt oder beschuldigt und für den Rest meiner Tage ins Gefängnis geworfen werde, habe ich vom Apotheker meiner Mutter – zu einem entsetzlich hohen Preis – ein Fläschchen Gift gekauft.
Es ist ein weißes Pulver.
Ich zeige es Emilia und sage ihr, daß es meine Todesphiole ist.
Sie blickt darauf, dann sieht sie mich an, dann wieder auf das Fläschchen. »Madam«, sagt sie »werden wir sterben?«
Ich streiche ihr übers Haar. »Emilia«, sage ich, »ich bin nicht die Kleopatra der Statue, die von ihren ganzen Frauen verlangt hat, sich die Natter an die Brust zu legen. Sollte ich dies hier je verwenden, dann allein. Also sei nicht so dumm, etwas anderes zu glauben.«
Und dann sehe ich eine einsame Träne aus Emilias Auge tropfen. Ich weiß, daß sie diese nicht nur beim Gedanken an meinen Tod weint, sondern auch, weil sie sich von Peter Claire verraten fühlt, und einen Augenblick lang bereue ich, seinen Brief gestohlen zu haben, denn ich sehe, daß sie leidet. Sie wird ganz dünn, und ihr Haar, das früher glänzte, ist jetzt stumpf, und ihre Wangen sind blaß.
Ich kann ihr den Brief aber nicht geben. Ja, sollte noch einer eintreffen, dann muß ich auch diesen abfangen. Mir tut es leid, daß sie einen solchen Schmerz empfindet, doch ich bin mir sicher, daß ihr Kummer nichts im Vergleich zu meinem ist. Ich kann wirklich nicht anders handeln, als ich es geplant habe, und darf mich keinen sentimentalen Gefühlen hingeben, denn Emilia ist mein allereinziger Trost, und wenn sie mich verläßt, weiß ich nicht, was ich tun soll.
»Emilia«, sage ich, »du mußt deinen Musiker vergessen, und ich erkläre dir auch, warum.« Und dann gehe ich in mein Boudoir und hole endlich die Sätze, die ich von dem in Peter Claires Zimmer gefundenen Brief abgeschrieben habe. Ich gebe ihr das Blatt, und sie liest es.
Sie rührt sich nicht und blickt nicht auf, sondern steht einfach nur da und liest, als sei das Papier viele tausend Wörter lang und sie komme nicht zum Ende, sondern müsse immer weiter- und immer weiterlesen, bis das Licht am Fenster verschwindet und die Eulen zu rufen beginnen. Daher nehme ich es ihr wieder aus der Hand; sie steht immer noch da, als stehe sie unter einem Bann und könne sich nicht mehr bewegen.
Ich lasse das Papier fallen und versuche, die Arme um sie zu legen und sie zu trösten, wie sie mich immer tröstet, doch sie ist ganz steif und starr in meiner Umarmung, und dann wendet sie sich wortlos von mir ab und geht die Treppe hinauf.
Ich lasse eine kleine Weile verstreichen.
Dann gehe ich zu ihrem Zimmer und klopfe an, als sei sie meine Herrin und ich ihre Frau.
Sie ruft, ich solle hereinkommen, und ich sehe sie mit dem Huhn Gerda auf dem Schoß am Fenster sitzen. Sie streichelt das Tier, und das einzige Geräusch im Zimmer ist dessen Lärm, ein leises Murmeln, das ein wenig Ähnlichkeit mit dem Schnurren einer
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