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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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ihr Vertrauen dem Silber.
    So sind schon jetzt Männer auf dem Landweg in Schlitten und Schneeschuhen vom Tausende von Meilen entfernten Gebirge des Sajan unterwegs, um im Frühjahr in Dänemark einzutreffen. Wenn der Wasserfall vom Isfoss dann wieder zu fließen beginnt, werden sie ins Numedal gebracht und die Mine mit ihrem Wissen zu neuem Leben erwecken.
    Der König schreibt an Martin Møller:

    Es muß jetzt nur noch das Sprachproblem gelöst werden. Wenn Ihr selbst, aus Loyalität zu Euren Leuten und mir, dem König, eine Möglichkeit findet, die russische Sprache zu erlernen, dann könnt Ihr, wenn diese Männer eintreffen – und nicht von eisigen Winden zum Himmel getragen oder bei lebendigem Leibe in einem Schneetreiben begraben werden –, nun, dann könnt Ihr dolmetschen, was sie sagen, und den Bergleuten, die man im Umkreis anheuern kann, Anweisungen erteilen. Meine ewige Dankbarkeit wäre Euch gewiß.

    Wenn König Christian jetzt auch ein paar Daler fest verschlossen in seiner Schatzkammer hält und seine Wal- und neue Silberstrategie langsam Gestalt annimmt, so überlegt er doch, daß er noch mehr Geld braucht, und er wird den Gedanken nicht los, daß auf Kronborg, unter den Prachtsälen seiner Mutter, ein so gewaltiger Schatz verborgen ist, daß er, wenn er nur an ihn herankäme, auf einen Schlag vom Joch der Armut erlöst wäre.

    Früh am Morgen, bevor es ganz hell ist, trifft der König auf Kronborg ein.
    Königin Sofie, deren Gesicht sich noch nicht wieder gefaßt hat, um nach einer unruhigen Nacht dem Tag entgegenzusehen, sitzt neben einem silbernen Samowar und trinkt Tee. Ihre grauen Haarflechten haben weder Spannkraft noch Glanz und wirken fast so, als wüchsen sie ihr nicht aus dem Kopf, sondern seien mittels Nadeln an diesem befestigt. Christian überlegt, daß sie alt und einsam ist und in Ruhe gelassen werden sollte, und ein paar Augenblicke lang ist er unsicher.
    Dann gähnt er, als sei er so müde wie sie und habe die Reise nur widerwillig gemacht, und meint: »Mutter, ich bin hier, weil es an der Zeit ist, daß ein jeder von uns Opfer für Dänemark bringt. Daher ist jetzt auch der Augenblick gekommen, dich von deinem Schatz zu befreien, den du wirklich nicht mehr brauchst.«
    Sie nippt an ihrem Tee. Ihr Gesicht verrät nichts. Ihre Hände zittern nicht, als sie die Tasse hochhält. »Das Gerücht von meinem ›Schatz‹«, sagt sie, »hat deine Frau erfunden und in die Welt gesetzt. Ich habe nichts. Ich lebe vom Fisch aus dem Sund. Es überrascht mich, daß du nicht mehr Talent dafür hast, Kirstens Verleumdungen zu erkennen, denn du bist ihnen doch sehr oft selbst zum Opfer gefallen.«
    Wenn es dem König auch lieber wäre, wenn Kirsten nicht erwähnt würde, wenn ihr Name und ihr Benehmen bei allen stillschweigend in Vergessenheit geriete, so gelingt es ihm doch, den kleinen Anfall von Qual, den diese Bemerkung hervorruft, zu unterdrücken und ruhig zu sagen: »Ich weiß, daß es auf Kronborg Gold gibt. Wenn du mir zeigst, wo du es aufbewahrst, nehme ich nur, was nötig ist – für meine Walfänger, meine neue Expedition zur Silbermine und für meine unfertigen Gebäude in Kopenhagen–, und lasse dir genug für dein weiteres Leben.«
    Königin Sofie möchte gern sagen, daß »genug« niemand außer ihr selbst ermessen kann. »Genug« wird als etwas Endliches angesehen, ist es aber nicht. »Genug« ist ein Berg, dessen Gipfel niemals erklommen werden kann.
    Doch sie bewahrt Schweigen. Sie faßt an den Samowar, um festzustellen, ob er noch warm ist, und sagt dann: »Ich habe wohl Möbel und Bilder. Und Wandteppiche. Bist du darauf aus, diese zu stehlen?«
    »Nein«, seufzt Christian.
    »Was dann? Löffel? Fächer? Meinen Schmuck?«
    König Christian steht auf. »Ich habe Männer mitgebracht«, sagt er. »Wir durchsuchen deine Gewölbe.«
    »Aha, die Gewölbe«, antwortet Königin Sofie. »Du willst mir meinen Wein wegnehmen?«

    Es ist dunkel in den Gewölben. Diese Dunkelheit ist beabsichtigt.
    Die Männer halten ihre Fackeln hoch, und der König geht langsam umher, untersucht die Weinfässer auf ihren Böcken, von denen es sehr viele gibt. Er bleibt aufs Geratewohl stehen und läßt erst den einen, dann den anderen Hahn aufdrehen, um zu sehen, ob wirklich Wein herausfließt, und so tritt der Geruch des Weins allmählich in Wettstreit mit dem der Feuchtigkeit und des Teers.
    Er bleibt wieder stehen, nimmt selbst eine Fackel in die Hand, als könne nur er persönlich das beleuchten,

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