Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Katze hat.
»Emilia«, sage ich. »Alle Männer sind Lügner. Ich kenne nicht einen – einschließlich Otto, der mir auch mehr versprochen hat, als er mir je geben konnte –, der nicht perfide ist. Denk nur an die Art und Weise, wie dich dein Vater behandelt hat, und an die Grausamkeiten, die mir der König zugefügt hat! Und deshalb leben wir jetzt ganz ohne sie! Wir bleiben, was wir sind: ein Frauenhaushalt. Kein Mann soll je wieder über unsere Schwelle kommen. Und ich möchte behaupten, daß wir dann glücklicher denn je sein werden.«
Sie antwortet nicht.
Ich schenke ihr ein Gläschen Fruchtlikör ein, doch sie schiebt es zur Seite.
Ich warte schweigend, und das Huhn macht weiter seine Geräusche, während Emilia mit ihren kleinen Händen seine Nacken- und Rückenfedern streichelt. Ich denke, daß ich noch nie, ohne zu sprechen, in einem Zimmer gesessen und einem Huhn zugehört habe, und ich muß mir die Hand vor den Mund halten, um nicht in Lachen auszubrechen.
Schließlich sagt Emilia: »Ich werde versuchen, alles zu vergessen. Nur Marcus nicht. Wann fahren wir noch einmal nach Århus?«
Ich trinke den Fruchtlikör selbst. Beim Gedanken an eine weitere kalte Fahrt in einer Kutsche wird mir ganz übel. Ich gieße mir noch etwas Fruchtlikör ein und nehme ihn auch zu mir. Dann verspreche ich Emilia, daß wir noch vor Weihnachten nach Århus fahren, um uns auf die Suche nach Herrn Haas zu machen. »Und wir holen Marcus heraus«, sage ich, »und dann ist er der einzige Mann in unserem Haushalt.«
Bei all diesen traurigen Dingen bereitet mir wenigstens eine Sache etwas Vergnügen. Die Frau meiner Mutter, Vibeke, meine frühere Frau für den Körper, erscheint seit neuestem bei Tisch und zu anderen Zeiten prächtig geschmückt und in teuren Kleidern, als sei sie die Königin von Dänemark.
Diese Kleider sitzen sehr eng, weil sie in Wirklichkeit so dick wie ich ist und ihre Gefräßigkeit nur alle sieben Wochen unter Kontrolle halten kann. Ich sehe jedoch, daß sie glaubt, nun wegen all der Rüschen, Schleifen, steifen Unterröcke und Samteinsätze eine Frau von exquisiter Schönheit zu sein. Sie scheint zu denken, die Kleider hätten ihr bäurisches Gesicht verwandelt. Das löst in mir Heiterkeit aus und läßt mich für einen Augenblick – wenn ich so beobachte, wie Vibeke wie die Zarin ganz Rußlands herumstolziert – meine vielen Sorgen und Befürchtungen vergessen.
»Vibeke«, sage ich einmal beim Abendessen zu ihr, als sie am Tisch in Goldstickerei schimmert, »wie hast du nur deine außergewöhnlichen neuen Kreationen herbeigezaubert?«
Sie blickt hastig auf meine Mutter.
»Vibeke hatte nur sehr wenige Kleider«, meint diese. »Und so ließ ich ein paar neue anfertigen.« Doch dann sieht sie weg, als schäme sie sich eines heimlichen Plans, den ich nicht aufdecken soll.
»Wie großzügig von dir!« rufe ich aus. »Da sie dich sehr viel gekostet haben müssen, ist es bloß eine Schande, daß sie mindestens eine Größe zu klein sind.«
Sie und Vibeke bekommen einen gequälten Gesichtsausdruck, und beim Anblick dieses kleinen, erkennbaren Leidens, das sie zu verbergen trachten, aber nicht können, wird es mir unerwartet froh ums Herz, was mehrere Stunden lang anhält.
WAS IST WIRKLICHKEIT?
Mit den Silber- und Golddalern, die aus dem geschmolzenen Tafelsilber und -gold geprägt worden sind, konnte König Christian die Fertigstellung und Ausstattung von drei Walfängern bezahlen. Er sagt sich, das Blatt werde sich für Dänemark wenden, wenn die Riesen der Tiefe gefunden werden.
Nachdem er seine Münzen wieder und wieder gezählt hat, schickt er dem Prediger Martin Møller im Tal des Isfoss etwas Geld und teilt ihm mit: … eine neue Gruppe von Spezialisten, die bessere Kenntnisse haben als diejenigen, die uns letztesmal begleiteten, wird nächstes Jahr eintreffen und die Mine wieder öffnen, so daß das Silber endlich herausgeholt wird.
Diesmal will der König sein Vertrauen in russische Ingenieure setzen. Er glaubt, jene Dänen, die er einst Genies der Mine nannte, verloren ihr Leben, weil ihr Genie für die Aufgabe nicht ausreichte. Nun sagt ihm sein Kanzler, nur in Rußland »begreift man das Geheimnis des Silbers«. Man begreife es dort, weil Generationen von Zaren es so gewollt haben, so daß die Russen Kuppeln, Türme und ganze Räume aus Silber besitzen. Sie haben Kleider und Mäntel aus Silberfäden gesponnen. Sie leben in einem versilberten Universum. Gleich nach Gott schenken sie
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