Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Kohlkopfblätter ineinandergriffen, sondern daß dort ein solides, cremefarbenes Gebilde war, das aussah wie ein dicker, fest zusammengebundener Strauß Gänseblümchen.
Sie blickte auf das seltsame Gemüse. Sie hatte immer den Trick der Natur geliebt, ein Ding in einem anderen zu verstecken, so daß man es sich gar nicht vorstellen konnte, solange man es nicht sah, wie beispielsweise eine polierte Kastanie in einer Schale.
»Stammt aus Frankreich«, erklärte Anne. »Sie nennen ihn dort choux-fleurs : Blumenkohl. Wie ich höre, ist er sehr delikat und gut.«
Das war es dann, was Charlotte George Middleton mitbrachte.
Er schlief, doch sie weckte ihn und legte ihm den Blumenkohl auf die Brust, wo er wie ein Babykopf hin und her schaukelte.
»Mama sagt …«, meinte Charlotte, »ich solle dir eine Suppe daraus kochen, doch mir gefällt er so besser.«
George Middleton setzte sich auf. Es kam ihm so vor, als habe sein Schmerz, wenn er sich nicht sehr irrte, seit dem Schlaf ein wenig nachgelassen, und ihm war ganz leicht ums Herz.
Er hielt sich den Blumenkohl an die Nase und lächelte Charlotte an. »Daisy«, sagte er, »dieses Ding hat aber einen teuflischen Geruch!« Und sie brachen beide in Lachen aus.
ZWEI BRIEFE
Als sich Peter Claire schließlich hinsetzt, um Francesca O’Fingals Brief zu beantworten, wird ihm bewußt, daß seit seiner Abreise aus Irland ein Jahr vergangen ist. Er versucht sich die Veränderungen auf Cloyne vorzustellen: den leisen Wandel im Aussehen der Kinder, die Besuche am Grab ihres Vaters, Francescas Übernahme aller Pflichten auf dem Anwesen, ihr Tragen von Trauerkleidung, ihre Erkenntnis, daß ihr das Leben einen irritierenden Streich gespielt hat und sie einer unsicheren Zukunft entgegensieht.
Er möchte ihr sagen, daß er daran keinen Anteil haben kann, zögert aber, als er zum Federkiel greift. Er kann nicht etwas schreiben, was eigentlich ein Vorwurf ist, eine Herabsetzung ihrer Gefühle, weil er für Francesca – für ihren Wagemut und ihre Schönheit – nichts als Bewunderung empfindet. So hofft er, als er mit dem Brief beginnt, im weiteren Verlauf eine Formulierung zu finden, die ihr sagt – ohne daß er es ausdrücklich erklärt –, daß ihre Liebesaffäre vorbei ist.
Meine liebe Francesca,
Du kannst Dir nicht vorstellen, wie sehr mich die Mitteilung überrascht hat, daß Du mit Deinem Vater nach Dänemark kommen willst. Es ist geradeso, als könne ich mir Euer Transportmittel hierher nicht vorstellen, so lebhaft habe ich Euch in Irland vor Augen – oder auch in dem eleganten Bologna meiner Phantasie.
Laßt mich Euch ein wenig auf die Reise vorbereiten! Da jetzt wieder Winter ist, herrscht hier eine starke Kälte, die heftiger ist als alles, was ich je in Harwich oder auf Cloyne erlebt habe. Du und Signor Ponti solltet diese nicht zu leicht nehmen und in Pelze und Wollsachen gehüllt kommen. Ihr müßt wissen, daß es eine Kälte ist, an der man sterben kann.
Der König überwintert auf Schloß Frederiksborg (ein paar Meilen von Kopenhagen entfernt, in Hillerød), und ich werde versuchen zu erreichen, daß Ihr dort untergebracht werdet, da es ein riesiges Schloß mit unzähligen Zimmern ist. Es ist in der Tat so gewaltig, daß ich manchmal denke, wenn ich darin unterwegs bin, daß in den Mansarden unter den Kupferdächern vielleicht Menschenseelen wohnen, von denen ich gar nichts weiß …
Hier hält er inne. Die Erwähnung dieser kleinen, hohen Zimmer hat in ihm das Bild von Emilias Kammer auf Rosenborg mit ihrem am Schrank hängenden grauen Kleid und dem auf der Tagesdecke sitzenden gesprenkelten Huhn heraufbeschworen. Bei dieser Träumerei wallt in ihm eine solche Woge der Zärtlichkeit für sie auf, ein solches Sehnen, die Arme um sie zu legen, der stolze Versorger für graue Kleider, gackernde Hühner, oder woran sonst ihr Herz hängt, zu werden, daß er den Federkiel aus der Hand legt und mit leerem Blick auf die Wand sieht.
Es ist Nacht, er hört den Wind seufzen und spürt seine neue Einsamkeit, die ihm Emilias Schweigen auferlegt, ihre Abwesenheit, die kein Ende zu nehmen scheint. Es ist eine langsame Folter. Sein Spiel leidet darunter, und Jens Ingemann zankt nun zu Recht mit ihm wegen mangelnder Konzentration und nicht mit den Italienern. Jeden einzelnen Tag, wieder und wieder, betet er darum, daß seine Einsamkeit ein Ende nimmt. Er hat sich unzählige Male vorgestellt, wie der Postbote ihm Worte von Emilia bringt, die ihm in der kurzen Zeit, die
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