Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
mit beiden gespielt, hatte sie in Versuchung geführt, angelogen, gescholten, war in ihre und aus ihrer Nähe getanzt.
Macht.
Der ältere Mann in Unwissenheit gehalten, sein Appetit angeregt durch sein Gefühl der Sünde. Der jüngere Mann in einem Zustand des Begehrens und Wartens gehalten, seine Sehnsucht genährt vom Wissen darüber, was sein Vater tat.
Macht, für die es, wenn man sie erst einmal kannte, nichts Vergleichbares gab, nur deren wiederholte Ausübung. Macht, die sie nun auch in dieser Familie ausüben kann. Magdalena weiß, daß es für sie nichts Vollkommeneres auf Erden gibt.
Sie bewegt sich ganz langsam, verweilt noch ein wenig in der Küche, erteilt den Mägden ein paar weitere Aufträge, hebt erst die äußeren Blätter der Rotkohlköpfe hoch, die ihr zum Prüfen hingehalten werden, berührt dann deren saftige Herzen, probiert das Bratfett in der weißen Schüssel und hält Ingmar den Finger zum Ablecken hin …
Dann nimmt sie die Schürze ab und geht schweigend die Treppe hinauf, auf Zehenspitzen, um die schlafende Ulla nicht zu wecken, und Ingmar folgt ihr. Oben im Haus, fern der Geschäftigkeit der Küche, ist es still und abgeschieden, Sonnenstrahlen fallen durchs Fenster, ein wunderbar verzauberter Ort.
Magdalena wählt die Wäschekammer, den Ort, wo ihr auch Johann Tilsen den Rock hochgehoben und sie ohne viel Federlesens und ohne Entschuldigung genommen hatte, sich das Recht angemaßt hatte, als ihr Arbeitsherr mit ihr Unzucht zu treiben.
Er hatte geglaubt, er könne dies tun und sie dann vergessen. Er hatte nicht gewußt, welche Macht sie besaß. Und er hatte nicht gewußt, wie klug sie davon Gebrauch machen würde.
Als sie nun Ingmar ebenso ungeduldig, ebenso begehrlich sieht, kostet sie jede Sekunde davon aus, zerzaust ihm beim Abschließen der Tür die dunklen Locken, lehnt sich an die Wäscheregale, an einen Stapel gewaschene und gebügelte Betttücher, schnürt langsam das Mieder ihres Kleides auf und hebt eine Brust heraus, deren Warze hart und feucht ist.
Magdalena weiß, daß ihre Milch zu fließen beginnt, sobald Ingmar Tilsen wie das Baby zu saugen beginnt, und er diese dann trinken wird. Sie wird ihn säugen – ihren Stiefsohn –, und dieser Augenblick, wenn die Ereignisse zusammenprallen und der Siebzehnjährige aus der Brust der Frau trinkt, die ihn in seinen Träumen verfolgt, wird ihn für immer zu ihrem Sklaven machen.
Sein Mund hängt an ihrer Brustwarze. Magdalena umfaßt seinen Kopf. Er beginnt sogleich zu weinen, wie ein kummervolles Kind, das endlich von der Mutter getröstet wird. Seine heißen Tränen fließen reichlich, seine Arme legen sich um ihren Körper, ziehen ihn an sich, halten ihn, als wolle er ihn nie wieder loslassen.
Dann legt sie ihm den Mund ans Ohr und flüstert ihm genau jene Worte zu – schmutzige wie Pottasche –, die einst ihren Vetter in einen lang anhaltenden Wahnsinn getrieben hatten, in dem ihn Gedanken an Vatermord fast ständig begleiteten.
Magdalena lächelt die ganze Zeit. Es ist Weihnachten, und eine neue Ära beginnt. Sie beginnt jetzt …
Als dann später der schöne Tag zu Ende geht, ist die Familie um den Tisch versammelt. Die gebratene Gans wird hereingebracht und vor sie hingestellt.
Johann und Magdalena sitzen sich an den Schmalseiten der Tafel gegenüber, Ingmar hat den Platz neben seiner Stiefmutter eingenommen. Er ißt heißhungrig. Sein Appetit scheint unstillbar zu sein. Magdalena beobachtet ihn und kann nicht verhindern, daß sie ständig lächelt.
Johann erzählt ihr, wie er mit den anderen Knaben nach Boller geritten ist, kühn in die Einfahrt hinein, um dann festzustellen, daß niemand im Haus ist und die Fensterläden geschlossen sind. Sie klopften an, doch niemand öffnete.
»Ist es nicht seltsam«, meint Johann, »daß kein Dienstbote erschien?«
»Dann sind Ellen Marsvin und Kirsten bestimmt nicht da!« meint Magdalena.
»Doch Fru Marsvin würde das Haus doch nicht unbeaufsichtigt lassen!«
»Vielleicht war es das ja gar nicht. Vielleicht waren die Dienstboten bloß vom Weihnachtswein betrunken. Und deswegen haben sie alle Läden geschlossen. Habt ihr Lachen, Musik oder Schnarchen gehört?«
»Nein«, antwortet Johann ärgerlich, »das haben wir nicht.«
»Vielleicht hat der König eingelenkt und seine Frau und ihr ganzes Gefolge nach Kopenhagen zurückgeholt?«
Johann schüttelt den Kopf. Etwas in Magdalenas Stimme mutet ihn an wie Necken, ihm ist aber nicht klar, warum. »Ganz Dänemark
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