Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Blume aussieht.
Dieses häßliche Spitzen des Mundes meiner Mutter deutet natürlich darauf hin, daß sie und Vibeke etwas Gemeines gegen mich im Schilde führen. Ob sie den König dazu bewegen wollen, mich von Boller zu vertreiben? Doch ich glaube nicht, daß ihnen das gelingen wird, weil der König noch nicht von seiner Liebe zu mir kuriert ist und nicht möchte, daß seine liebe Maus in die Kälte hinausgesetzt wird. Um jedoch ganz sicherzugehen, habe ich ihm heimlich geschrieben, um ihn vor der Boshaftigkeit meiner Mutter zu warnen. Ich habe ihm gesagt, daß ich auf Boller glücklich bin, und wiederholt, daß das Kind von ihm ist und in der kalten Luft Jütlands zu einem kräftigen Kind heranwächst und wir zwei und Emilia nicht von hier weggeschickt werden sollten.
Gleichzeitig habe ich den gefährlichen Schritt unternommen, noch einmal an den englischen Lautenisten zu schreiben.
Kurz vor Weihnachten, ein paar Tage bevor Emilia den Knaben Marcus fand, traf wieder ein Brief von Peter Claire an sie ein, und auch diesmal konnte ich ihn abfangen.
Ich muß schon sagen, daß der Lautenspieler dümmer und weicher ist, als ich zunächst angenommen hatte. Diese Weichheit kann bedeuten, daß er zu feige ist, meine Anweisungen im Hinblick auf die Finanzpapiere des Königs auszuführen, wodurch alle meine Pläne durchkreuzt wären. Doch ich sehne mich so sehr nach Otto, meinem geliebten Hengst und wunderbaren deutschen Mann, daß ich beschlossen habe, alles zu versuchen, um wieder mit ihm zusammenzukommen.
Der Brief des Lautenisten an Emilia ist voller Seufzer. Ich kann diese in der Stille meines Zimmers hören. So stelle ich mir England vor: voll von derartigen Klagelauten.
Peter Claire fragt Emilia, warum sie auf seinen ersten Brief nicht antwortet, und bittet sie, zu sagen, daß sie ihn noch liebt, weil er ohne ihre Liebe möglicherweise »den Verstand verliert«. Alle Liebenden übertreiben, und Peter Claire macht da keine Ausnahme. Sehr zu meinem Verdruß tut er so, als seien er und Emilia unschuldige Opfer des Schicksals und gefangen in dem, was er den »großen Schatten« nennt, »den die Trennung des Königs von seiner Frau wirft«, womit er andeutet, daß sie, wenn es mich nicht gäbe, vollkommen glücklich und frei wie die Lerchen sein könnten. Diese Entstellung der Ereignisse hilft mir, mein Herz beim Verstecken des Briefes zu verhärten. Denn ich sage mir, daß ich Emilia vor einem Mann bewahre, der vielleicht etwas dumm und sentimental ist und ganz und gar nicht so, wie sie glaubt, und überhaupt, wie kann sie wünschen, in England mit seinem übertriebenen Wetter zu leben? Es ist viel besser für sie, wenn sie hier bei mir bleibt oder mit mir nach Schweden geht und dem Haus angehört, das ich mit dem Grafen Otto Ludwig von Salm einrichten werde. Vielleicht hat der Graf ja einen hübschen Cousin, den sie heiraten könnte? Und auf diese Weise würden sie und ich nie mehr getrennt werden.
Und so verfasse ich nun eine kurze Mitteilung an Mr. Claire, in der ich ihn an meine frühere Aufforderung erinnere, mir »wichtige Papiere über die Finanzen des Königs zu beschaffen, damit ich mir ein Bild davon machen kann, wie meine Zukunft aussehen wird«. Ich schreibe ihm, daß ich ihm, wenn mir diese rasch zugeschickt werden, seine Unhöflichkeit, meinen ersten Brief einfach zu ignorieren, nachsehen würde. Außerdem würde ich – wenn es soweit ist – jene für Emilia bestimmten »Worte und Seufzer« weitergeben. Sollte ich aber von ihm nichts erhalten, nun, dann wird keiner seiner Briefe je unter Emilias Augen kommen.
In derartigen Angelegenheiten ist es am besten, kurz und bündig zu sein. Ein neues Jahr, das Jahr 1630 , ist in Sicht, und dann bin ich schon wieder älter. Ich muß diese Karte ausspielen, weil mir nichts anderes einfällt. Jedoch sehe ich, als ich dem Boten meinen Brief gebe und dieser ihn in die Tasche steckt, daß meine Hand zittert.
Die Angelegenheit mit Emilias Bruder Marcus hat eine ärgerliche Wendung genommen.
Als sie am Heiligabend mit ihm heimgeritten kam und wir gemeinsam ihren Vater und alle ihre Brüder überlisteten, indem wir den Eindruck erweckten, nicht auf Boller zu sein, nun, da war ich überglücklich und sagte zu Emilia: »Nachdem wir Marcus gefunden und deinen Vater zum Narren gehalten haben, wird alles gut, und du wirst sehen, was für ein wunderbares Leben wir führen werden!«
Doch dieses »wunderbare Leben« ist noch nicht gekommen. Ich weiß nicht, was ich mir
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