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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Feuer. »Das ist Hurengold«, sagte er, »und das sollst du nicht haben!«
    Der Junge weinte, klagte und protestierte nicht. Sein Gesicht war eine weiße, angstvolle Maske. Als er in den abfahrbereiten Wagen stieg, blickte er weder seinen Vater noch Magdalena, noch seine Brüder an, von denen zumindest Boris und Matti nicht verstanden, warum er wegging, während es Wilhelm nur allzugut verstand.
    Magdalena konnte das Seufzen nicht unterdrücken, als sie es auf Ingmars weiche braune Locken schneien sah, während der Wagen die Einfahrt entlangruckelte und verschwand. Von allen Geliebten ihres Lebens, beginnend mit ihrem Onkel und ihrem Cousin, hatte sie Ingmar Tilsen vielleicht am meisten angerührt: die Art, wie er sich an sie klammerte und weinte, wie seine Lippen an ihrer Brust hingen und wie er bei den Mahlzeiten heimlich lächelte. Und der Gedanke, daß er in Kopenhagen frieren würde, dort keine Freunde und Küche haben würde, wohin er gehen und wo er Zucker und Butter von ihren Fingern lecken konnte, und Weihnachten nicht mit am Tisch sitzen würde, wenn die Gans hereingebracht wurde, brach ihr das Herz. »Er ist doch noch ein Knabe!« sagte sie zu Johann. »Mit den Phantasien eines Knaben, das ist alles. Du bist zu streng gewesen.«
    »Nein«, erwiderte Johann. »Ich bin nicht streng genug gewesen.«

    Was Johann Tilsen selbst betraf, so zermarterte ihm so viel Verwirrendes und Widersprüchliches über das Thema Magdalena das Hirn, daß er sich fragte, ob er verrückt wurde.
    Sein erster Gedanke war wohl gewesen, sie zu verstoßen und zu ihrer Familie zurückzuschicken, doch diesem folgte rasch der Wunsch, sie zwar als seine Frau zu behalten, aber unter einem neuen Regime. Er wollte sie auf so grausame Art leiden lassen, daß sie seelisch zerbrach, unter ständiger Angst vor ihm lebte und nur noch daran dachte, zu tun, was er sie hieß, Tag und Nacht, ganz gleich, was er ihr befahl.
    Er verbrannte ihre Kleider. Er nahm ihr alle seine Geschenke wieder weg. Er vertrieb sie aus dem gemeinsamen Schlafzimmer in eine obere Kammer, wo es durchs Dach regnete und schneite. Er schlug sie, so daß ihr das Blut aus den Ohren drang. Seine Prügel ließen auf ihrem Hintern purpurfarbene Striemen zurück. Er glaubte, er könne auf diese Art weiter mit ihr zusammenleben, seinen verletzten Stolz retten und fortfahren.
    Doch dann stellte er bestürzt fest, daß ihr Körper ihn noch erregte. Die Schläge, die er ihm zufügte, verstärkten seine Erregung sogar, so daß ihm die Macht und Herrschaft dabei allmählich wieder entglitten und auf sie übergingen. Denn wenn er erst einmal erregt war, konnte er ihr nicht mehr widerstehen, und wenn er erst einmal dort war, wohin er mußte, wurde seine Erregung nur noch verstärkt , wenn er daran dachte, wie sie Ingmar verführt hatte. So wurde das, wofür er sie bestrafte, allmählich zum Bestandteil seiner eigenen Ekstase.
    Magdalena wußte genau, was vor sich ging. »Johann«, flüsterte sie dann, »was für ein Mann du doch bist! So potent wie dein Sohn …« Und wenn ihr Johann auch, als sie diese Worte anfangs äußerte, mit der Hand über den Mund schlug, so spürte sie doch, daß sie ihn erregten und sie daher, genau so, wie sie ihren Onkel mit den Taten ihres Cousins gequält hatte, ihre Herrschaft über Johann Tilsen wieder zur Geltung bringen konnte, wenn sie ihn daran erinnerte, daß sein eigener Sohn die jungen Mädchen auf dem Tilsen-Gut verschmäht hatte, um mit seiner Stiefmutter zu schlafen.
    Wenn Tilsen sie ausgelaugt und erschöpft verließ, stieg in ihm Abscheu gegen sich selbst auf. Er ging dann gebeugt wie ein alter Mann die Treppe vom Speicher hinunter. Manchmal schloß er Magdalena auch in der Dachkammer ein und nahm den Schlüssel mit. Er wünschte dann, sie wäre tot. Immer öfter dachte er, daß Emilia recht gehabt hatte und Magdalena wirklich Hexenmacht besaß.
    Wenn es dann noch hell war, sattelte er ein Pferd, ritt durch die Wälder und Felder und nahm seine Suche nach Marcus wieder auf. Der Gedanke, daß sein Leichnam irgendwo da draußen war, ohne gefunden worden zu sein, gefroren und von Aasfressern angenagt, verursachte ihm eine derartige Qual und ließ solche Gefühle der Einsamkeit und des Selbstvorwurfs in ihm aufsteigen, daß er oft blind durch die Gegend ritt, ohne weiter die Hecken und das Dickicht abzusuchen, sich einfach vom Pferd dahintragen ließ und kaum merkte, wenn die Dunkelheit hereinbrach. Zu solchen Zeiten sehnte sich ein Teil von ihm

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