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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Nieten in die Wagenräder hämmern zu lassen. Es ist wohl noch eine ordentliche Summe übrig, jedoch weniger, als der König hoffte, Euch bringen zu können …«
    Møller nickt. »Und wie steht’s mit Getreide?«
    »Nun«, sagt Herr Gade, »auch hier: weil die Reise so lange dauerte, mußten wir einen Teil des Getreides an die übriggebliebenen Hühner verteilen, um sie für Euch am Leben zu erhalten. Wenn Ihr jemandem die Schuld dafür geben wollt, Herr Møller, dann gebt sie den Nordwinden oder Gott, der sie geschickt hat.«
    »Ich bin Pfarrer«, erwidert Møller. »Gewöhnlich gebe ich Gott keine ›Schuld‹.«
    »Nein«, meint Gade. »Nein. Natürlich nicht. Ich möchte nur betonen, daß die Einbußen nicht unser Fehler sind.«
    Rotte Møller geht zum Fenster und blickt auf die vertraute Straße, die er so lange im Auge behalten hat. Bitter denkt er: Was sind schon ein paar Hühnchen, ein paar Säcke Getreide, ein paar Münzen als Gegenleistung für die Hoffnung, die erst entfacht und dann wieder ausgetreten worden ist, und für die verlorenen Menschenleben? Und nun wird auf der Straße vor Ende des Winters nichts mehr ankommen.
    »Wir haben etwas Bier mit«, sagt Herr Gade, »und Stoff. Wollstoff von den Børnehus-Webstühlen. In einem zweckmäßigen Braun und recht warm.«
    »Und Silbernadeln zum Nähen, nehme ich an?« erwidert Møller. Er dreht sich um, weil er sich das Unbehagen des Abgesandten bei seinem bissigen Scherz nicht entgehen lassen will.
    Herr Gade blickt zu Boden, als wolle er sich seine Stiefel ansehen, deren Sohlen vom Druck seiner Füße auf die Steigbügel ganz dünn geworden sind. Er holt tief Luft, bevor er sagt: »Seine Majestät hat mir aufgetragen, Euch daran zu erinnern, daß er Ingenieure aus Rußland kommen läßt.«
    Rotte Møller blickt den Abgesandten des Königs nun wieder an, dem er als Oberhaupt der Gemeinde vom Isfoss ein Bett für die Nacht, Essen, das er nicht besitzt, und Höflichkeit, nach der ihm nicht zumute ist, anbieten muß. Seiner kleinen Gestalt entringt sich ein Seufzer. Er hat so sehnsüchtig und lange auf Herrn Gades Ankunft gewartet, und nun wünscht er sich plötzlich, daß der Mann mit dem großen Hut und dem purpurnen Umhang wieder verschwindet.

    Das Tuch, das Getreide, das Geld und die Hühner werden gezählt und auf alle Familien aufgeteilt. Da aber noch so häufiges Rechnen nicht zu dem Ergebnis führt, daß einer Familie ein ganzes Huhn zusteht, beschließen sie – nachdem der Abgesandte und die Wagenführer wieder abgereist sind und sich auf dem Rückweg zum Meer befinden –, alle Hühnchen auf einmal zu rupfen, auf einem großen Feuer unter den Sternen zu braten und ein Fest zu veranstalten.
    In zehn Häusern werden Tische aufgestellt, wo das Getreide gemahlen und das Brot gebacken werden soll.
    Der Duft der bratenden Hühnchen lockt alle nach draußen. Die Dorfbewohner wärmen sich am Feuer, trinken das vom König geschickte Bier und reden wieder einmal von der Zukunft, die ihnen der König bereiten wird.
    Diese Zukunft wird zwar nicht genauso wie die Vergangenheit sein, als die Mine noch in Betrieb war und die Männer an ihren Körpern von Silberadern durchzogene Steinstücke verbargen, aber immerhin dieser doch ähnlich sein. Schon stellen sich die Leute vom Isfoss die russischen Genies der Mine vor, die zu ihnen auf eleganten, von wolfsähnlichen Hunden gezogenen Schlitten unterwegs sind, Hunden mit weichen Schwänzen und gelben Augen, welche die Eiswüsten bei weitem schneller als der Frühling durchqueren können.

DER SCHLÜSSEL ZUR DACHKAMMER
    Seit jenem langen Nachmittag, an dem Johann Tilsen im Wassertrog nach Marcus’ Leichnam gesucht und ihn nicht gefunden, statt dessen aber seinen ältesten Sohn mit Magdalena im Bett entdeckt hatte, war das Leben im Tilsen-Haushalt einem ständigen Wandel unterworfen.
    Ingmar ist weggeschickt worden. Johann Tilsen zahlt für ihn eine Lehre in Kopenhagen, bei einem Jugendfreund, der medizinische Instrumente herstellt. Der Junge erhielt jedoch kein Geld, und niemand kümmerte sich um eine Unterkunft in der Stadt für ihn. »Du hast dich selbst zum Waisen gemacht«, hatte Johann zu ihm gesagt. »Deshalb mußt du dich jetzt alleine durchbringen.«
    Magdalena versuchte heimlich einzugreifen und drückte Ingmar eine Börse mit fünf Dalern in die Hand. Doch Johann hatte dies vorausgesehen und ließ seinen Sohn die Taschen leeren, bevor ihn der Wagen wegbrachte. Er warf die Börse mit Magdalenas Geld ins

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