Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
überhaupt nicht erkenne. Und gestern hat der Spiegel meiner Frisierkommode einen derart bösartigen Verrat ausgeheckt, daß ich mich gezwungen sah, ihn mit meiner kleinen Achilles-Bronzestatue zu zerschmettern. Er zeigte mir ein Haar, das aus meinem Kinn sproß! Es war schwarz. Ich möchte behaupten, daß ich nicht entsetzter gewesen wäre, wenn ich eine Schlange auf mir gesehen hätte, als beim Anblick dieses üblen Haars, das mir aus dem Gesicht wuchs. Ich schrie nach einem Mädchen, und diese riß es mir dann mit einer Metallzange an der Wurzel aus. Doch wenn nun eine ganze Plage davon zu sprießen beginnen sollte, wie man es manchmal bei alten verhutzelten Tanten sieht, die dem Tod nahe sind? Ich muß schon sagen, daß es mich martert, was jetzt mit meinem Körper geschieht. Wäre ich nie schön gewesen, dann wäre der Verlust meiner Schönheit gar kein Verlust und würde ich deren Schwinden nicht so betrauern. Doch meine Schönheit war etwas, was niemand übersehen konnte. Ich habe damit einen König berückt. Im Garten von Rosenborg hat er mich einstmals den Blumen gezeigt.
Und nun habe ich von König Christian einen Brief erhalten, in dem steht, daß er sich von mir scheiden lassen will.
Er teilt mir mit, daß ihn nur seine frühere Liebe zu mir davon abhält, mich wegen Verrats vors Gericht zu bringen, und daß es in Dänemark viele gibt, die meinen, ich sollte wegen meiner Missetaten auf ein Rad gebunden werden.
Er zählt sie mir in seiner immer noch wunderbaren Handschrift auf (für den Fall, daß ich sie schlichtweg vergessen hätte!), und das Lesen dieser Liste, als sei es eine Aufstellung schmutziger Kleidungsstücke, die zur Wäscherin geschickt werden, bereitet mir derartiges Unbehagen, daß dadurch ein starkes Schamgefühl ausgelöst wird. Ich habe nie verstanden, warum meine Natur so zum Bösen neigt. Und das werde ich auch nie begreifen. Meine Mutter ist zwar eine Intrigantin, doch mein Vater war ein ehrlicher Mann. Warum konnte ich nicht wie er werden und trotzdem Erfolg auf der Welt haben und nicht alles, was ich besitze, verlieren und mit völlig leeren Händen, außer einem Katalog meiner Verstöße, dastehen?
Und dies sind sie nun:
daß ich den König, meinen Mann, betrogen habe, indem ich mit dem Grafen Otto Ludwig Unzucht getrieben habe;
daß ich in Werden aphrodisierende Kuchen gebacken habe, um den Grafen in mein Bett zu locken;
daß ich dem Grafen Otto des Königs Gold und bestes Leinen gegeben habe;
daß ich Schmuck gestohlen habe, welcher der ersten Frau des Königs gehört hatte, um an Geld für diverse Geschenke für meinen Liebhaber zu kommen;
daß ich mich des Lebens erfreute, als der König krank war;
daß ich einstmals tanzte, als der König vor Magenschmerzen zusammengebrochen war;
daß ich sehr oft gegenüber dem König blasphemisch war und mich auf dem Holzstapel in der Halle von Rosenborg herumwälzte und Obszönitäten von mir gab;
daß ich jedermann im Hinblick auf die Vaterschaft meines Kindes Dorothea anlog;
daß ich meine anderen Kinder grausam behandelte und sie an den Haaren durchs Kinderzimmer zog;
daß ich den König durch meine Lüsternheit und Intrigen in eine große Melancholie versetzte, die das Leben Seiner Majestät bedrohte.
Und nichts davon kann ich leugnen.
Tatsächlich könnte ich sogar noch einiges hinzufügen, was der König ausgelassen hat. Doch ich möchte behaupten, daß ich nicht allein für diese Verbrechen verantwortlich gemacht werden kann. Das Leben selbst bringt uns zu Verstößen, weil es so schrecklich bitter, häßlich und traurig ist. Um am Leben zu bleiben, sind wir gezwungen zu intrigieren. Um etwas Freude zu haben, müssen wir wie die Elstern aus dem kläglichen Vorrat stehlen. Gäbe es reichlicher davon und wäre Gott gütiger, als Er es zu sein scheint, nun, ich glaube, dann wäre ich eine gute Frau gewesen und würde in all meinen Spiegeln ein Engelsgesicht sehen. Doch selbst Gott hat man gegen mich aufgebracht. Der König schreibt, der Name Kirsten Munk sei jetzt von allen öffentlichen Gebeten im Reich ausgeschlossen.
Während ich einst ungeduldig auf den Briefboten wartete, bete ich nun, daß er nicht nach Boller kommt, sondern ungesehen vorbeigeht und all seine Worte woandershin bringt, um andere Herzen und nicht meins zu treffen. Ich erhalte nämlich neuerdings nur noch Briefe, die mir Zorn und Enttäuschung bringen.
Heute, sehr schnell auf den Fersen des Briefes meines Mannes, trifft ein weiterer von König
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