Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Euch dann vorspielen, wenn Ihr nachts nicht schlafen könnt?«
»Ja! Wer wohl? Krenze? Pasquier? Sie werden mir nicht soviel Trost spenden wie Ihr. Vielleicht sollte ich den alten Ingemann persönlich wecken?«
Peter Claire nickt. Dann erklärt der König: »Mein Neffe Charles zahlt einhunderttausend Pfund für Euch! Hättet Ihr je geglaubt, daß Ihr soviel wert seid?«
»Nein, Euer Majestät.«
»Nein! Doch stellt Euch vor, was aus Euch in Dänemark wird: Walfangschiffe, Deiche und Befestigungen, sich drehende Webstühle, Papiermühlen und Kontore. Was für eine ungewöhnliche Alchimie! Vielleicht werdet Ihr am Ende gar noch die Silbermine im Numedal? Wenn Euch also in England mal die Sehnsucht nach Dänemark packt, dann denkt daran, mein lieber Engel! Stellt Euch Silbererz in Euren Adern vor! Erinnert Euch an den Isfoss und unser Gezeche unter den Sternen! Malt Euch aus, wie Ihr weiterhin im ganzen Land eine wunderbare Veränderung bewirkt!«
Peter Claires Koffer ist gepackt. Als Geschenk für die anderen Mitglieder des Orchesters kauft er neue Kerzen, die strahlender und langsamer brennen, um ihnen während ihrer Stunden im Keller zu leuchten.
Als er sich vom König verabschiedet, wird ihm ein mit einem Samtband zugebundener Leinenbeutel in die Hand gedrückt. »Macht ihn auf, und steckt Eure Hand hinein!« sagt Christian.
Er tut dies und fühlt viele kleine Gegenstände. Zunächst denkt er an Muscheln oder Münzen, doch es ist beides nicht.
»Knöpfe!« erklärt der König. »Ich habe sie selbst für Euch gesammelt. Laßt Eure Hand, wenn Ihr unruhig seid, hindurchgleiten, vielleicht beruhigt Euch das ja. Einige davon sind kostbar, andere sind nichts wert. Ihr könnt sie als Ganzes verkaufen, wenn Ihr wollt, doch rate ich davon ab. Denn als Ganzes werden sie etwas anderes, etwas, das größer ist als die Summe der Einzelteile, und so sollt Ihr mich in Erinnerung behalten, als etwas mehr , als ich Euch je erschienen bin.«
Peter Claires Kutsche wartet. König Christian umarmt ihn kurz und blickt ihm zum letztenmal in die Augen, die so blau wie die Sommerluft sind. »Ihr könnt sicher sein«, sagt der König, »daß mein hartnäckiger Glaube an Engel fortbestehen wird!«
Nun liegt ein Schiff mit dem Namen Sankt Nicolai wenige Stunden von Kopenhagen entfernt in einer Flaute im Kattegat.
Peter Claire und der Kapitän der Sankt Nicolai stehen nebeneinander auf dem Deck und betrachten den Himmel; sie lauschen und warten auf Wind.
»Ein merkwürdiges Meer«, meint der Kapitän, »schwarz wie bei einem Sturm, doch fast gänzlich still. Als Knabe wurde mir gesagt, es sei eine der Hauptaufgaben eines guten Seefahrers, das Licht zu verstehen. Doch ab und zu trifft man auf Verhältnisse, die nur schwer zu deuten sind.«
»Und dies sind solche?«
»Ja. Das bißchen Wind, das wir haben, kommt aus dem Norden, nur mit einer Spur Regen vermischt. Ich weiß aber nicht recht, wie sich dieser Nordwind weiterentwickeln wird.«
Es ist kalt. Da kein Land in Sicht ist, kommt es Peter Claire so vor, als hätten sie sich in eine andere Jahreszeit begeben, als wäre der Winter zurückgekehrt und könnte sich dieser stille Kattegat langsam in Eis verwandeln und jegliches Weiterkommen unmöglich machen. Das Schiff schaukelt sanft, die Segel hängen schlaff herunter wie seltsame Lebewesen der Luft, die plötzlich eingeschlafen sind, und die Gespräche der Mannschaft wirken laut ohne Wind.
Der Lautenspieler geht hinunter und legt sich auf seine Koje. Der Schmerz in seinem linken Ohr quält ihn mit seinem Kratzen und Reißen. Er ist verwundert darüber, wie Schmerz auf die Gedanken einhämmert, so daß das Gehirn unfähig zu sein scheint, länger als einen Augenblick an einer Idee festzuhalten, und sich so ständig in einem Aufruhr nichtabgeschlossener Dinge befindet.
Er schläft ein und träumt von England. Er trifft im Palast von Whitehall ein, um seine Stelle bei König Charles anzutreten. Man führt ihn zum König, dem es, wie er gehört hat, manchmal Probleme bereitet, das zu äußern, was er gern möchte. Peter Claire wartet höflich und wagt nicht, etwas zu sagen oder sich zu rühren. Der König sieht ihn an, blickt ihm so aufmerksam ins Gesicht wie König Christian an jenem Abend, als er auf Rosenborg eintraf. Dann merkt er, daß der König sich heftig zu sprechen bemüht oder bereits spricht. Was von beiden, kann er aber nicht sagen, weil er nichts hört. Der Monolog oder scheinbare Monolog geht weiter und weiter, und
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