Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
wichtige Augenblick, und glaubt ja nicht, daß ich nicht viel darüber nachgedacht hätte.«
Als Datum wählte Herzogin Elisabeth den 13 . April. An diesem Tag würde der Herredag , der Volksgerichtshof, im Kopenhagener Schloß zusammentreten, dessen Vorsitz dem künftigen König seiner Meinung nach zustand.
»Wir nehmen eine geschlossene Kutsche«, sagte die Herzogin, »und lassen den Kutscher, auch wenn es hellichter Tag ist, die Lampen anzünden, damit wir Feuer für die Kerze haben.«
Als der Tag heranrückte, verfaßte die Gesellschaft der EinWort-Signierer zusammen mit der Herzogin von Mecklenburg eine Erklärung, die Christian verlesen sollte, wenn die Rakete im Äther verschwand und die Adligen noch ehrfurchtsvoll dem Rauch ihrer feurigen Flugbahn hinterherschauten. In dieser Erklärung wurden der Rigsråd und die Richter des Herredag gebeten, »ihren König Christian IV . nicht zu vergessen und ihn fortan voll an den Angelegenheiten des Landes zu beteiligen, so daß nichts vor ihm verborgen bleibt und er schon vor der Krönung gutes Regieren lernt«. Dies hatte Christian in einer so erlesenen Schrift niedergeschrieben, daß Bror, als er den Blick darauf warf, erklärte, es sei »wie Musik«.
Christian betete um einen blauen Himmel für den 13 . April, und seine Gebete wurden erhört. Die beiden Knaben und die Herzogin machten sich schon in aller Frühe mit der Rakete und einem irdenen Milchkrug in einem schwarzen Wagen mit trotz des strahlenden Sonnenscheins brennenden Lampen auf den Weg nach Kopenhagen.
Als sie im Schloßhof einfuhren, sahen sie zu ihrer Befriedigung, daß sich dort eine große Anzahl Adliger versammelt hatte. Die Herzogin wurde in diesem Augenblick so nervös, daß sie fast in Ohnmacht fiel und sich heftig zufächeln mußte, während Bror und Christian mit der in ein Samtwams gewickelten Rakete ausstiegen. Sie rief dem Kutscher zu, er solle den Milchkrug »ein wenig abseits von den Pferden« hinstellen und dann an einer der Lampen eine Kerze anzünden.
Da die Herzogin die Kerze einen Augenblick lang für ihren Fächer hielt und damit vor ihrem Gesicht herumwedelte, entfachte sie in Sekundenschnelle eine sehr lebhafte Flamme. Sie schrie entsetzt auf, als sie die Hitze an ihren Fingern spürte. Bror erkannte sofort die Situation und nahm ihr die Kerze aus der Hand. Christian, dessen Herz gleichsam den Takt zu einem gleichmäßig schnellen Marsch schlug, wickelte die Rakete vorsichtig aus und stellte sie auf den Rand des Kruges.
König Christian wird in Erinnerung behalten, daß sich in diesem Augenblick ein paar der Adligen umdrehten und ihn und Bror mit der brennenden Kerze in der Hand ansahen. Bror steckte diese nun in den Krug und hielt sie an die Zündschnur. Die Herzogin neben ihnen sagte in Französisch: »Ah, mon Dieu!« , und der Milchkrug füllte sich mit einer zischenden Flamme, als die Zündschnur zu brennen anfing.
Im nächsten Augenblick schoß die Rakete in die Luft.
»Noch nie in der Geschichte«, erzählte Christian später gern, »ist etwas von Menschenhand Gefertigtes mit so triumphaler Grazie in den Raum über der Erde eingetaucht.« Und wirklich, die Rakete schoß senkrecht in die Höhe, dorthin, wo die Vögel in der Frühlingsluft kreisten, und dann, schwefligen Rauch hinter sich her ziehend, noch höher, bis sie schließlich mit einem Donnerhall am Himmel explodierte und den Menschen langsam, als wäre es für die Staatstrauer geschwärzter Schnee, verkohlte Pergamentfetzen und winzige verschmorte Korbstreifen auf die Köpfe fielen. Die Pferde wieherten und bäumten sich in den Zügeln der Karren und Wagen auf. Man schnappte nach Luft und schrie. Bror und die Herzogin applaudierten.
König Christian entrollte seine Erklärung und trat kühn auf die Stufen des Gerichtsgebäudes.
DER KONVOI
Die Tre Kroner wird mit drei Kanonenschüssen begrüßt, als sie in Kristiansand einläuft.
Auf diese neue Stadt tief in den Fjorden, an der vordersten Spitze des Skagerraks, die er selbst in Auftrag gegeben und mit Hilfe holländischer Architekten entworfen hat, ist der König sehr stolz. Sie sollte ein ordentlicher Ort werden, und das ist sie auch. Die Straßen sind gerade, und die Bürger, die von der Otterninsel in die Stadt getrieben wurden, scheinen bereit zu sein – jedenfalls, soweit das König Christian feststellen kann –, auf dem frisch gelegten Kopfsteinpflaster in geraden und nicht in Schlangenlinien zu gehen. Der Hafen ist tief, und die Schiffe liegen
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