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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Obstlisten, plötzlich vor, alles völlig durcheinandergebracht zu haben und zuviel von der einen und zuwenig von einer anderen Beere bestellt zu haben und so weiter Ich schnappte mir die Aufstellungen wieder, indem ich eine plötzliche Verwirrung meines alternden Verstands heuchelte und mich für meine schreckliche Vergeßlichkeit verdammte …

    Im zweiten Teil dieses zweiten Briefs ging Ellen Marsvin näher auf die Entschädigung ein, von der sie im ersten gesprochen hatte.
    Sie schrieb ihrer Tocher, daß es unmöglich geworden sei, in Jütland eine fleißige Frau für die Garderobe zu finden, weshalb sie Kirsten bitte, ihr – bis sie einen Ersatz habe – Vibeke, ihre Frau für den Körper, zu leihen.
    Sie unterschrieb mit Deine zärtliche Mutter und Spionin Ellen Marsvin.
    Obwohl sie müde war, konnte sie in der Nacht nicht schlafen. Ihre Gedanken kreisten ständig um ihre heimlichen Pläne.

AUS GRÄFIN O’FINGALS TAGEBUCH,
»LA DOLOROSA«
    In meinen Gebeten fragte ich Gott: »Wie viele Fortsetzungen sind nötig, bevor Johnnie O’Fingal wieder ins Paradies darf?«
    Als der Sommer ins Land ging, wußte Peter Claire nicht mehr, wie viele er schon komponiert hatte. Er erzählte mir, es komme jedesmal unweigerlich der Augenblick, in dem Johnnie sage: »Wir sind nah dran, Mr. Claire. Oh, ich glaube, wir sind nah dran!«
    Doch dann, wenn die neunundsiebzigste oder zweiundachtzigste oder hundertundzwanzigste Fortsetzung wiederholt und überarbeitet wurde, legte sich erneut der Schleier der Enttäuschung über die Augen meines Mannes. Er hielt sich die Ohren zu und erklärte, die richtige Musik sei für immer verloren.
    Ich dachte, er würde der Sache überdrüssig werden und Peter Claire nach kurzer Zeit wieder wegschicken. Doch das tat er nicht. Er erzählte mir, daß ihm die Arbeit mit dem Lautenisten Hoffnung gegeben habe, »gerade so viel, weißt du, Francesca, daß ich glaube, daß die Suche nicht aussichtslos ist«.
    Seine Gesundheit verbesserte sich ein wenig. Die Schuppenflechte in seinem Gesicht heilte ab. Er blieb nachts weiterhin in seinem Zimmer und besuchte mich nie, doch bisweilen war er freundlich, so daß ich ihn überreden konnte, die dringendsten Reparaturen an den Gebäuden des Anwesens in die Wege zu leiten. Die Leute von Cloyne erstaunten mich mit ihrer freundlichen Bereitschaft, ihm zu verzeihen. »Oh, gewiß, er ist sehr krank gewesen, der arme Mann!« sagten sie zu mir. »Doch, so Gott will, wird nun alles besser …«
    Eines Tages im Hochsommer verkündete mir Johnnie, er wolle nach Dublin fahren, um seinen Pfeifenmacher aufzusuchen. Er bleibe eine Woche. Seine Pfeifen hatten ihm in seinen qualvollen Stunden ein wenig Trost gespendet, doch mittlerweile hatte er die Hälse zu Brei gesaugt und gebissen. Er wollte nun einen Auftrag für zwölf neue erteilen. Ich machte mir Sorgen, Johnnie – dem die Stadt und jegliche größere Ansammlung von Menschen fremd geworden waren – könne sich in Dublin verlaufen oder verlorengehen, und bot ihm daher an, ihn zu begleiten. Er sagte aber, er würde lieber allein fahren. Er quartiere sich in einer ihm wohlbekannten Herberge ein. Er wolle sehen, welche Konzerte es in den großen Kirchen der Stadt gebe, und Austern essen.
    Und so ließ ich ihn gehen. Als ihn der Wagen forttrug, hatte ich das Gefühl, daß mir eine schwere Last von den Schultern genommen wurde.

    Noch am selben Nachmittag kam eine Gruppe Zigeuner lärmend unsere Einfahrt hoch. Die Kinder rannten ihnen entgegen, um zu sehen, was sie an Wunderbarem und Phantastischem mitgebracht hatten. Giulietta bekam einen aus Weidenzweigen geflochtenen Reifen gezeigt, der so sauber gearbeitet war, daß man nicht erkennen konnte, wo er zusammengefügt war. Maria griff nach einem kleinen Wassertopf, der nicht größer als ihre Hand war. Vincenzo und Luca legten sich merkwürdige, bemalte Masken an und rannten damit Zeter und Mordio schreiend im Garten herum, was bei der Zigeunergruppe große Heiterkeit auslöste.
    Ich trieb Geld für diese Sachen auf und ließ den Landfahrern Bier und Kuchen bringen. Dann saß ich mit ihnen im Gras, und sie holten aus ihrem Wagen die Sachen hervor, auf die sie am meisten stolz waren und die sie bis zum Schluß aufgehoben hatten: ihre Tabletts mit Silberschmuck.
    Da gab es Broschen, Kreuze, Halsketten, Armbänder und Ringe. All diese Dinge waren von dem Mann gefertigt, der sich Simeon nannte und das Schmiedehandwerk erlernt hatte. Ich betrachtete seine großen Hände, die

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