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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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hat.
    Er schreibt ihr sofort: Meine liebe Charlotte, Mr. Middleton ist der glücklichste Mann Englands! Aus einem Impuls heraus schickt er ihr ein Geschenk, und zwar den silbernen Ohrring, den er am Tag seiner Abreise von Cloyne von der Gräfin O’Fingal erhalten und seitdem immer getragen hat. Als er den kleinen, juwelenbesetzten Ring aus dem Ohr genommen und für Charlotte gereinigt, poliert und eingewickelt hat, ist ihm ganz leicht ums Herz.

    Christian läßt die Musiker kommen und sagt ihnen, sie sollen anfangen, für ein Konzert zu üben, das er im Rosengarten für den englischen Botschafter, Seine Exzellenz Sir Mark Langton Smythe, geben möchte, da dieser am Monatsende Rosenborg einen Besuch abstatten wolle.
    Auf der Suche nach englischer Musik (Weisen von Dowland, Lieder und Pavanen von Byrd und Tallis) eilt Jens Ingemann geschäftig hin und her und versammelt dann das Orchester auf einem Feld, wo – so ist es verfügt – »alle Proben stattfinden sollen, damit wir unsere Klänge der Weite des Raums und des Himmels anpassen können«.
    Auf dem Feld weidet eine Schafherde.
    »Jetzt Schafe!« schnaubt Pasquier. »Als ob Hühner nicht schon schlimm genug gewesen wären! Ganz gleich, wo wir hingehen: Wir werden von Viehzeug geplagt!«
    »Sie kommen nicht in unsere Nähe und schenken uns keine Beachtung!« erklärt Jens Ingemann nervös. Doch das erweist sich als nicht ganz richtig, weil die Schafe in dem Augenblick, in dem das Orchester zu spielen beginnt, die Köpfe heben und zuhören und lange Zeit zu weiden vergessen.
    Trotzdem spielen sie gut. Und wieder einmal nimmt Peter Claire die süße Klangvielfalt wahr, die diese Gruppe von Männern hervorbringt. Damit verglichen erscheinen ihm seine Duette mit Krenze im Numedal dünn und trocken. Er möchte schwören, daß kein anderes Orchester in Europa Harmonien wie diese hervorbringt, die der Vollkommenheit so gefährlich nahe kommen.
    Als Peter Claire eines Nachmittags, als sich der Abend noch nicht durch eine merkliche Verringerung der Sonneneinstrahlung angekündigt hat, vom Feld zurückkommt, sieht er im Garten eine junge, blumenpflückende Frau. Als sich ihr die Musiker nähern, hebt sie den Kopf und lächelt sie an. Jens Ingemann und die anderen Spieler verbeugen sich vor ihr, was sie mit einem Nicken quittiert, und gehen weiter. Peter Claire jedoch bleibt stehen.
    Er blickt auf eine Sonnenuhr, als wolle er vom Schatten des Messingzeigers die Zeit ablesen, doch in Wirklichkeit möchte er mit dieser Frau, die er noch nie zuvor auf Rosenborg gesehen hat, ein paar Worte wechseln. Sie trägt ein graues Seidenkleid und hat braune, weder dunkle noch helle Haare. Er sieht, daß ihre Hände so klein sind, daß es ihr Mühe bereitet, die vielen gepflückten Blumen zu halten. »Soll ich …, darf ich … Euch helfen?« stammelt er.
    »Oh!« antwortet sie. Sie sieht zu Peter Claire auf und stutzt, als nehme sie die eindrucksvolle Schönheit seines Gesichts wahr. »Nein, das ist nicht nötig!«
    Er geht jedoch zu ihr hin, legt die Laute auf den Boden und streckt die Arme aus, damit sie ihm die Blumen geben und weiterpflücken kann. So wandern die Blumen von ihren Armen in seine, und er spürt in den Stengeln, wo ihre Hände sie gehalten haben, ihre Wärme.
    Er sieht, daß er sie etwas verwirrt hat, denn sie errötet. Um sie zu beruhigen, erzählt er ihr von der Konzertprobe auf dem Feld und von den Schafen, die zu weiden aufhörten, um zu lauschen.
    »Nun«, meint sie, »man hat mir erzählt, daß das Königliche Orchester sehr schön spielt. Vielleicht haben die Schafe noch nie etwas so Ausgezeichnetes gehört?«
    Daß sie trotz ihrer Verwirrung den Mut hat, einen kleinen Scherz zu machen, bewegt ihn mehr, als er sagen kann. Er lacht und fragt sie dann, ob sie das Konzert zu Ehren des Botschafters besuchen werde.
    »Ich weiß nicht«, erwidert sie. »Madam ist nicht immer geneigt, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.«
    »Madam?«
    »Lady Kirsten!«
    »Ach«, meint Peter Claire, »dann arbeite ich für den König, und Ihr arbeitet für seine Gemahlin! Also sehen wir uns vielleicht öfters?«
    Sie zögert und arrangiert die Blumen neu. »Ich weiß nicht«, meint sie.
    Er würde gern den Arm ausstrecken und sie berühren, einfach ihre Wange berühren oder ihre kleine Hand umschließen. Er hat das Gefühl, daß er jetzt vielleicht gehen sollte, bringt es aber nicht fertig. Er hat in ihr eine so feine Seele und ein so weiches Herz wahrgenommen, wie er es noch

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