Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
gefahren?«
»Sie hat es nicht gesagt, Sir. Sie hat mich gebeten, auf sie zu warten, das ist alles.«
König Christian geht zu Kirstens Bett und starrt darauf. Dann greift er nach dem Spitzenrand des Lakens und schlägt es zum Kopfende hin hoch. Er tut dies sehr zärtlich, fast so, als sehe er Kirsten dort schlafen, das Haar wie ein Heiligenschein über das Kissen gebreitet, und wolle sie nun zudecken, um sie vor der Kälte der Nacht zu schützen.
VON SENF UND BÄNDERN
Seit seinem Treffen mit Emilia im Keller befindet sich Peter Claire in einem Zustand ständigen leichten Erstaunens.
Er kann kaum glauben, daß das, was dort gesagt worden ist, wirklich gesagt worden sein kann. Er spielt das Gespräch immer wieder durch, als sei es ein Musikstück, das man noch ein wenig besser spielen könnte. Doch das ist nicht möglich. Es bleibt die unumstrittene Tatsache: Er hat Emilia Tilsen seine Liebe gestanden, und diese hat ihn abgewiesen. In jeder Version des Dialogs, wie er die Worte auch wählt oder abwandelt, bleibt ihre Verweigerung und kann nicht ignoriert werden.
Das verwirrt ihn mehr, als es vielleicht andere Männer verwirrt hätte, weil er es nicht gewohnt ist, abgewiesen zu werden. In seinen siebenundzwanzig Lebensjahren haben sich die Frauen Peter Claire gegenüber immer so verhalten, wie sich das Meer dem Wind gegenüber verhält. Nie hat er seine Macht verloren, sie aus der Ruhe zu bringen, ihr Verlangen aufzupeitschen oder sogar – wie gelegentlich bei einer heißen Abendgesellschaft in den frühen Morgenstunden – ein wenig leidenschaftlichen Schaum auf ihre Lippen treten zu lassen. Doch jetzt, als er endlich tief und sicher fühlt und zu wissen scheint, daß seine Zukunft bei Emilia liegt und er ein wahrhaft glückliches Leben vor sich hätte, wenn sie seine Liebe erwidern würde, scheint ihm gerade diese Frau vollkommen gleichgültig gegenüberzustehen, als wäre sie aus Stein. Sie war viel mehr von den Hühnern in ihrem Elend, ihrem Mitgefühl und ihrer Sorge für sie berührt gewesen als von seiner Erklärung. Sie hatte ihm deutlich gesagt, daß es ein Verstehen zwischen ihnen nie gegeben hatte.
Doch sie ist zu dem Rendezvous gekommen.
Aus dieser einen Tatsache versucht Peter Claire ein wenig Ruhe zu ziehen. Sie hätte seine Mitteilung an sie auch einfach ignorieren können – so wie wohl tausend solcher eiligen Briefe kurz angeschaut und weggeworfen werden –, was aber nicht geschehen war. Und Emilia schien, als sie in die Gewölbe herunterkam … Was schien sie da? Vielleicht doch nicht ganz ein so unbewegter Stein zu sein, wie er ihn beschworen hatte. Sie glich vielmehr ein wenig einem Baum, einem jungen Baum, der zu klein ist, um vom Wind gewiegt zu werden, sich aber dennoch ein wenig bewegt fühlt.
Und noch etwas anderes erfüllt ihn mit einer merkwürdigen Verwunderung: Emilia ist durch ihre Ablehnung für ihn noch schöner geworden. Sie hat dadurch etwas Geheimnisvolles bekommen, was sie vorher nicht besaß.
Er wünschte, seine Schwester Charlotte wäre da, um ihm zu sagen, was er als nächstes tun sollte. Sollte er Emilias Ablehnung lediglich als Zeichen ihrer Bescheidenheit und Güte nehmen und sich also eine Fortführung seines Werbens um sie ausdenken, das ihr zeigt, wie sehr er diese Züge an ihr schätzt? Oder sollte er alle weiteren Annäherungsversuche unterlassen, in der Hoffnung, daß sie dann ihre Strenge im Keller bereut und ihm ein Zeichen gibt, daß sie sich freuen würde, wenn er sie wiederaufnimmt?
Peter Claire sitzt mit Jens Ingemann im Speisezimmer, als er über all das nachdenkt, und bittet schließlich den Kapellmeister um seine Meinung zur großen Frage der Liebe.
Sie essen Hering mit Senf. Jens Ingemann hat eine erstaunliche Menge Senf um seinen Hering herum ausgebreitet.
»Ich denke über die sogenannte Frage der Liebe überhaupt nicht nach!« sagt Ingemann knapp.
»Ihr meint, Ihr denkt nie darüber nach, Herr Ingemann?«
»Ich meine, daß ich sie im Leben eines intelligenten Menschen für unwesentlich halte.«
»Und doch –«
»Es gibt kein ›und doch‹, Mr. Claire. Was wir mit dem Ausdruck ›Liebe‹ so wichtig nehmen, ist nichts anderes als das Unfreiwillige, was die stinkende Kröte am Ende des Winters tut.«
Sie essen den Hering. Jens Ingemann wendet den salzigen Fisch in seinem gelben Bad und schlingt ihn hinunter. Nach einer Weile meint Peter Claire: »Habt Ihr das auch schon so gesehen, als Ihr jung wart?«
»O ja! Was aber nicht besagen
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