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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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will, daß es mir kein Vergnügen bereitet hat, mich wie eine Kröte zu benehmen. Und es kann durchaus sein, daß Kröten Vergnügen dabei empfinden. Warum auch nicht? Und wer kann schon sagen, ob es Kröten, wenn sie sprechen könnten, nicht anders nennen würden? Wenn Ihr mich aber nach der Liebe zu Gott oder meiner Liebe zur Musik fragen würdet, bekämt Ihr eine andere Antwort.«
    »Das sind die Dinge, die Euch an die Welt binden? Nichts und niemand sonst?«
    »Mich an die Welt binden?« Jens Ingemann schluckt sein letztes, in Senf gebadetes Heringsstück hinunter, und sein Gesicht verzieht sich zu einem kalten Lächeln. »Sie binden mich nicht an die Welt, Mr. Claire! Weit davon entfernt! Sie erinnern mich daran, daß die Welt eine häßliche und finstere Grube ist, der ich bald zu entkommen hoffe.«
    Er wischt sich den Mund mit einer Leinenserviette ab, faltet diese zu einem ordentlichen kleinen Viereck und legt sie neben seinen Teller. Peter Claire schaut gebannt zu, als erwarte er sich davon die Offenbarung einer wichtigen Wahrheit, die dem Gespräch noch fehlte. Er weiß, daß dadurch eigentlich nur Jens Ingemanns Pingeligkeit und Ordnungssinn offenbart wird und daß dieser jetzt, wie bei jedem Mittagessen, die Augen zu einem stillen Tischgebet schließen, dann aufstehen, seinen Stuhl wieder in seine angestammte Position an den Tisch stellen und langsam aus dem Speiseraum gehen wird. Doch er möchte dem Kapellmeister, bevor er dies geschehen läßt, noch eine letzte Frage stellen. Daher hebt er die Hand, um dem Dankgebet zuvorzukommen, und sagt hastig: »Kapellmeister, was sagt Ihr dann zur Liebe des Königs zu seiner Frau?«
    Jens Ingemann öffnet widerstrebend noch einmal die Augen, die ihm schon zufallen wollten, als sei das Tischgebet ein kurzer Schlaf, der ihn jeden Tag um diese Zeit überkommt. »Ich sage«, intoniert er mit müder Stimme, »daß sie das größte Elend seines Lebens ist.«

    Peter Claire verläßt schließlich den Speiseraum und geht durch die Palasttore in die Stadt hinaus, wo er sich auf dem Marktplatz in der Menschenmenge verliert. Er weiß nicht, was er zwischen den Schuhflickern, Austernverkäufern und Webern zu finden hofft, doch hier zu sein, in der Welt außerhalb Rosenborgs, bringt ihm immer ein vertrautes Glücksgefühl, wie als Kind, wenn er mit seiner Mutter zum Jahrmarkt nach Woodbridge ritt.
    Er bleibt am Stand eines Bandmachers stehen und kauft für Charlotte ein paar weiße Satinbänder. Als er sie in der Hand hält, hat er aber nicht Charlotte vor Augen: In Gedanken flicht er sie in Emilias braunes Haar und stellt sich den Duft ihres Haares, die sanfte Wärme ihres Nackens und die seidigen, ihr über den Rücken fallenden Bänder vor.

KIRSTEN: AUS IHREN PRIVATEN PAPIEREN
    Ich tanze auf einem Seil über dem Abgrund: So kommt mir mein Leben vor. Reißt das Seil? Stürze ich auf die Felsen der Ungnade und des Elends? Oder gelingt es mir wie durch ein Wunder, weiterhin in meiner Welt zwischen Himmel und Erde zu balancieren?
    Der Erfolg meiner Ankündigung beim König (die in ihm nicht das geringste Mißtrauen hervorzurufen schien, sondern vielmehr die gleiche unschuldige Freude, mit der er die Empfängnis aller unserer vielen Kinder begrüßt hat) erweckte in meiner Brust eine solche Erleichterung, daß ich sogleich von Leichtsinn ergriffen wurde und etwas tat, was, das räume ich ein, mein Verderben hätte sein können, wenn sich das Schicksal gegen mich verschworen hätte. Ich ließ einen Wagen vorfahren und floh in ihm mit einer Federmaske und einer Reitpeitsche zu Ottos Wohnung.
    Gewiß, ich hatte mir selbst geschworen, nicht schwach zu werden und meinen Liebhaber erst in Kopenhagen zu besuchen, wenn die ganze Sache mit seinem Kind von einem so dicken Lügengespinst umgeben sein würde, daß ich nicht mehr Gefahr lief, des Hochverrats bezichtigt zu werden. Doch an diesem schönen Abend und nach meiner ausgezeichneten Darbietung als treue Frau des Königs war ich so wild darauf, mich mit dem Grafen zu vereinigen, daß ich unter keinen Umständen dagegen angehen konnte und zugeben muß, in jeder Hinsicht nicht besser als eine hitzige Stute gewesen zu sein, die einem Hengst, wenn sie nur seine Witterung aufnimmt, ihr einladendes zweites Maul wie eine plötzlich vulgär rosa gewordene, taubenetzte Orchidee hinhält.
    Otto spielte gerade mit ein paar Freunden Karten. Als ihm die Nachricht überbracht wurde, »Brigitte« erwarte ihn, kam er sofort in das Zimmer, in dem ich

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