Melodie des Südens
einen Blick in ihre Gesichter. Ihr Vater wollte doch schließlich, dass sie heiratete, oder nicht? Und er kannte die Chamards gut. Kein Grund zur Sorge also. Aber ihre Schritte in der Eingangshalle klangen langsam. Zu langsam. Er hatte Nein gesagt. Aber dann würden sie durchbrennen, dachte sie.
Yves kam herein. Wo war sein Lächeln geblieben? Warum lächelte er nicht?
Er zwinkerte ihr zu und nahm einen Zug von seiner Zigarre. Sie atmete ein wenig auf.
Vater kam hinter Yves ins Zimmer. Als er den Champagner sah, brummte er: »War das Charles’ Idee?«
Marianne lächelte unsicher. »Ja.«
»Setz dich, Marianne«, sagte Mr Johnston. »Wir müssen noch ein paar Dinge ernsthaft besprechen, bevor Champagner angebracht ist.«
Sie setzte sich, und Yves nahm den Stuhl neben ihr. Ihr Vater saß ihnen gegenüber auf der anderen Seite des breiten Tisches.
»Yves hat das Erbe seines Vaters ausgeschlagen, wusstest du das?«
»Nein, aber es überrascht mich nicht, Vater. Yves und ich …«
»Erspar mir bitte die Moralpredigt. Hier geht es um deine finanzielle Zukunft, nicht um deine Prinzipien. Er hat ein wenig Geld von seiner Großmutter Ashford, deren Vermögen aus dem Pelzhandel kam. Immerhin war er vernünftig genug, darauf nicht auch noch zu verzichten. Und er wird ein Gehalt von der Zeitung bekommen. Außerdem hat er seinen hiesigen Besitz verkauft, seinen Wagen und so weiter. Ist das richtig, Mr Chamard?«
»Ja, Sir.«
»Das bedeutet aber, dass du ein ganz anderes Leben führen wirst als bisher, Marianne. Du wirst nicht jede Saison eine neue Garderobe bekommen, du wirst kein Haus voller Dienstboten haben, die putzen und kochen und dir jeden Wunsch von den Augen ablesen. Vielleicht ein Mädchen und einen Dienstmann, aber mehr sicher nicht. Verstehst du das?«
»Ja, Vater, ich weiß das alles.« Er würde die Heirat nicht verbieten! Mariannes Lächeln strahlte, dass das Zimmer hell wurde.
»Und er hat die Absicht, dich mit nach Norden zu nehmen. Das bedeutet Schnee und grauen Himmel und den ganzen Winter eiskalten Regen. Du wirst deine Familie verlassen müssen …« Seine Stimme versagte kurz, aber er räusperte sich und sprach weiter. »Deine Familie, alle deine Bekannten. Und deinen Rosengarten.«
Die Rosen! »Aber in New York wachsen auch Rosen.« Sie streckte die Hand nach Yves aus, und er nahm sie. »Vater, ich werde dich entsetzlich vermissen, aber ich muss mit Yves gehen.«
Mr Johnston legte seine Zigarre auf der Tischkante ab. Rund um den Tisch waren einige angebrannte Stellen zu sehen, wo er schon einmal eine Zigarre vergessen hatte. Er seufzte schwer. »Ich weiß.«
»Es überrascht dich nicht, Vater?«
Er lächelte sie an. »Du bist nicht mehr das Mädchen, das ich vor drei Monaten hier verlassen habe, meine Liebe. Und nachdem Yves Brief ankam, hast du, glaube ich, kein einziges Wort gehört, das ich mit dir gesprochen habe. Das und Hannahs Beschwerden, dass du dich heute Morgen sechs Mal umgezogen hast, haben in mir die vage Vermutung geweckt, dass zwischen euch eine Art … nun, Zuneigung entstanden ist.«
Charles erschien in der Tür, einen listigen Ausdruck im Gesicht.
Marianne grinste ihn an. Er hatte gelauscht, und vermutlich standen auch Hannah und Annie draußen in der Eingangshalle.
»Charles«, rief ihr Vater, »würdest du dann jetzt bitte so nett sein, diesen Champagner zu entkorken?«
Im Schatten des späten Nachmittags führte Marianne Yves durch den Garten, um ihm ihre Versuchsbeete zu zeigen. Annie übernahm die Aufgabe der Anstandsdame, und als Yves in einer stillen Ecke stehen blieb, um Marianne in die Arme zu schließen, schimpfte sie: »Charles hat gesagt, Sie müssen die ganze Zeit gehen, also los!«
»Sie ist unverbesserlich«, flüsterte Marianne. Der Rosenduft überwältigte sie, und das Gefühl von Yves’ Arm an ihrer Seite tat ein Übriges. Seine lodernden Blicke verrieten ihr, dass es ihm nicht viel anders ging.
»Miss Annie«, sagte er, »ich denke doch, zwischen all diesen wunderbaren Rosen wäre ein Kuss angebracht, meinst du nicht?«
»Sie wollen Miss Marianne küssen?«
»Ich würde dich auch gern küssen, wenn du mir gestattest, deine Herrin zu küssen.«
Annie dachte darüber nach. »In Ordnung. Aber meine Schwester hat gesagt, ein Kuss ist auf keinen Fall genug.«
»Da hat deine Schwester vollkommen recht«, bestätigte Yves, beugte sich herunter und drückte der Sechsjährigen einen dicken Schmatz auf die Wange. Und dann noch einen auf die andere
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