Melodie des Südens
Engel, Miss.«
Marianne, die ein wenig schwindlig vor Erleichterung war, lachte, während sie ihre Tasche wieder schloss. »Meine Mutter hat mich immer eine Zimperliese genannt.«
»Na, Miss, ich habe Ihre Mutter ja auch gekannt. Miss Violette würde Sie für einen Engel halten, wenn sie sehen könnte, was Sie für Petie tun.«
Annie mit ihren stacheligen Zöpfchen überall am Kopf schaute in die dämmrige Hütte.
»Was suchst du, Kind?«, fragte Lena.
»Ich suche Miss Marianne.« Ein großes, strahlendes Lächeln erhellte ihr Gesicht, als sie ihre Herrin entdeckte. »Ihr Bruder und seine Freunde sind da. Sie trinken Whiskey und warten aufs Abendessen.«
»Oh.« Marianne warf einen Blick auf ihre schmutzige Schürze. Ihre Schuhe waren ebenfalls schmutzig, und sie hatte sich heute überhaupt noch nicht frisiert. »Ich habe gar nicht daran gedacht, dass sie heute kommen.«
»Ich kämm Ihnen schnell die Nester aus, Miss Marianne«, bot Annie ihr treuherzig an.
Marianne lachte wieder. »Lieb von dir, Annie.«
Nach dem langen Ritt in der Hitze zur Magnolias-Plantage folgte Yves Adam und Marcel vom Stall zum Haus. Der Weg vom See war anstrengend gewesen, und er freute sich darauf, endlich etwas zu trinken.
Am Aufgang zur hinteren Veranda blieben die Männer stehen, um ihre Stiefel an dem eisernen Kratzer zu reinigen. Yves machte das besonders gründlich, aber als guter Beobachter sah er, dass sein Gastgeber nur einen halbherzigen Versuch unternahm, die Schuhe sauber zu bekommen, bevor er seine Gäste ins Haus führte.
Charles nahm ihnen die Hüte und Reithandschuhe ab und ging dann, um die Karaffe mit dem Whiskey für die Herren zu holen.
Adam warf sich in den Sessel gleich neben der offenen Tür zum Salon und legte die Füße auf die damastbezogene Ottomane. Yves litt unter dem Anblick der Stiefelspuren auf dem feinen Stoff. Zu den Dingen, die man von seiner Mutter lernt, gehört auch die Sorgfalt, mit der man mit der Einrichtung umgeht, dachte er. Adams Mutter war seit einigen Jahren tot.
Nachdem sie vertraute Gäste in seinem Haus waren, ließen sich Yves und Marcel ohne weitere Umstände in zwei weiteren luxuriösen Sesseln nieder. Marcel sprach von einer Dame, die ihm am See aufgefallen war, und Yves bewunderte währenddessen das langgestreckte, ovale Zimmer, das sich von der Vorderseite des Hauses bis in den hinteren Teil zog.
Adams verstorbene Mutter hatte diesen Raum mit geradezu künstlerischem Talent angelegt; er war ein Wunder an Licht und Schatten. Oberhalb der Täfelung waren die Wände mit blassgrüner chinesischer Seide bespannt. Derselbe kühle grüne Damast fand sich auch auf den schweren, geschnitzten Möbeln aus Mahagoni, und die passenden Vorhänge ergossen sich üppig auf den Boden. Die wunderbaren Schnitzereien an den Türstöcken und an der Decke waren strahlend weiß gestrichen, der flämische Teppich aus schwerer Wolle zeigte ein Muster aus Pfingstrosen auf tiefem Dunkelgrün. Yves hielt dieses Zimmer für das schönste am ganzen Fluss.
»Wo ist denn deine zauberhafte Schwester?«, fragte Marcel.
Adam blickte Charles fragend an. Der Butler schenkte gerade eine weitere Runde Whiskey aus.
»Miss Marianne ist bei einem Kranken in den Unterkünften, Mr Adam.«
Marcel betrachtete die Farbe seines Whiskeys in dem geschliffenen Kristallglas. »Beim letzten Mal war sie auch gerade dort unterwegs, glaube ich.«
»Kann sein«, erwiderte Adam.
»Stört dich das?«, fragte Yves seinen Bruder.
»Nein, gar nicht, ich finde es nur erstaunlich, dass dieselben jungen Damen, die wir auf den Bällen in New Orleans erleben, mit jeder Menge Puder und Rouge im Gesicht und in Satin und Spitze, dass genau diese jungen Damen nach dem Karneval nach Hause zurückkehren und nichts Besseres zu tun haben, als sich sofort in die Sklavenunterkünfte zu stürzen, wo sie dann mit den Fingern in Gott weiß was herumwühlen. Für mich passt das ganz einfach nicht zusammen. Das ist alles.«
»Nun, ich denke, Marianne liebt Satin ebenso sehr wie jedes andere Mädchen«, sagte Adam, dem die Zunge bereits etwas schwer wurde, wie Yves bemerkte. Ich muss aufpassen, was ich sage, dachte er, denn er wusste, dass Adam ausgesprochen unangenehm werden konnte, wenn er zu viel getrunken hatte. Vermutlich hat er Hunger, dachte er. Ich jedenfalls könnte gut etwas zu Essen vertragen. Vielleicht würde das Abendessen die Wirkung des Whiskeys dämpfen.
Als hätte er Yves Gedanken gelesen, sagte Charles: »Es gibt bald
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