Melodie des Südens
staunendem Bericht über die Töchter zu, die inzwischen zu jungen Damen herangewachsen waren.
»Und deine Mutter?«, fragte er in die Dunkelheit hinein.
Aus Nicolettes Briefen wusste Gabriel, dass sein Vater Cleo nicht freiwillig aufgegeben hatte. Er liebte Maman immer noch, hatte sie ihm geschrieben, aber was blieb ihm übrig? Sie war selbstständig, seit Tante Josie sie freigelassen hatte, selbstständig und unabhängig mithilfe ihres eigenen Talents und ihrer Hartnäckigkeit. Und, so hatte Nicolette hinzugefügt, Pierre LaFitte würde Maman allein gehören. Sie teilten die Liebe zur Musik, und auf Pierre würde Cleo niemals warten müssen. Er hatte keine zweite Familie.
»Es geht ihr gut«, beantwortete Gabriel die Frage seines Vaters.
Chamard setzte sich ein wenig anders hin und nippte an seinem Glas. »Was hältst du von diesem LaFitte?«
Ich kenne den Mann doch kaum, dachte Gabriel. Was will er hören? Dass er sie schlägt und dass sie die Heirat bereut? »Scheint ein guter Mann zu sein«, sagte er. »Er kümmert sich um sie.«
Chamard nickte. »Sollte sie irgendwann irgendetwas brauchen, lässt du es mich wissen, versprichst du mir das?«
Das Gespräch wandte sich den drei Jahren der Trennung zu. Was hatte Chamard auf Cherleu unternommen, wie war sein Pony im letzten Rennen gelaufen? Und sie besprachen alle Taten und Erfolge aus Gabriels Zeit in Paris, sogar die Inhalte seines Studiums.
Spät am Abend setzte Chamard sein Glas nieder. »Du hättest in Paris bleiben können, mein Sohn«, sagte er. »Da hättest du es leichter gehabt. Du hättest sogar für einen Weißen durchgehen können, denke ich, wenn du es darauf angelegt hättest. Aber du bist zurückgekommen.«
»Weißt du, Vater, hier an diesem Fluss bin ich lieber als an jedem anderen Ort der Erde. Ich bin nach Hause zurückgekommen, und zwar für immer.«
5
Während sich Marianne um Peter kümmerte, saß seine Großmutter Lena auf dem Boden, die Hand an seinem Fuß, den Kopf auf sein Bett gelegt, und schlief. Charles döste auf der Veranda in einem Lederstuhl, den er an die Wand zurückgekippt hatte.
Wenn Peter zwischendurch ruhiger wurde, ließ Marianne ihre müden Gedanken schweifen. Das Mondlicht schien zwischen den Brettern der Hütte hindurch und zeichnete silberne Streifen auf den Boden. Wenn ein feuchter Nordwestwind blies, war es in diesem Haus sicher genauso kalt wie auf dem Anleger. Wenigstens hatte es einen Bretterboden. Drüben bei den Morgans, hatte sie gehört, bestand der Boden in den Sklavenunterkünften nur aus gestampfter Erde.
Sechs Wandhaken waren dazu bestimmt, die wenigen Besitztümer der Sklaven aufzunehmen. Es gab einen Hocker und ein paar Pritschen. Kein Fetzen Papier, kein Bild an der Wand, keine Glasvase mit Rosen. Keine Bücher auf einem polierten Holztisch.
Aber die Sklaven konnten ja auch nicht lesen. Sie hatte davon gehört, dass es einige gelernt hatten, aber eigentlich war es verboten, einem Sklaven das Lesen beizubringen. Was für ein lächerliches Gesetz. Wenn Petie überlebte, könnte sie vielleicht versuchen, ihm ein Stück Kreide und eine Tafel zu beschaffen. Es musste ja sonst niemand erfahren.
Ob Peter wohl jemals davon geträumt hatte, lesen zu lernen? Was taten Sklaven in ihrer Freizeit? Solange es hell war, arbeiteten sie, und in der Erntezeit sogar noch länger. Aber jeder Mensch hatte doch Träume.
Lena erwachte, und Marianne tauschte mit ihr den Platz. Der Boden war hart, aber sie schlief augenblicklich ein. Später am Vormittag, als die Sonne durchs Fenster schien und ihr Gesicht wärmte, setzte sie sich auf, steif und wie zerschlagen.
Lena lächelte sie an und zeigte drei ihrer vier verbliebenen Zähne. »Petie geht es besser, Miss. Fühlen sie mal!«
Marianne legte eine Hand auf die Stirn des Jungen. Sie war kühl, fast so kühl wie ihre eigene.
Mit großen schwarzen Augen beobachtete Peter, wie sie einen Verband entfernte. Der Verbandsstoff klebte an der Wunde, und er zuckte zusammen, als sie ihn abzog. »Tut mir leid, ich versuche, es so vorsichtig wie möglich zu machen.« Er ertrug den Rest der Prozedur, ohne auch nur einen Ton von sich zu geben.
Tapferer Bursche, dachte Marianne. Sie sah sich alle seine Wunden an. Der Wundbrand war herausgezogen, und die Wunden nässten nicht mehr so. Marianne legte frische Verbände an. »Du bist sehr tapfer, Peter.«
Lena wischte ihm den Schweiß von der Stirn. »Mein Petie wird sich doch nicht beschweren, wenn Sie ihn versorgen wie ein
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